Vom Weg der Gemeinschaft

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Im Judentum ist das Gemeinschaftsmoment wesentlich: sei es Religions- oder Schicksalsgemeinschaft. Rabbi Hillel lehrte: "Sondere Dich nicht von der Gemeinde ab und glaube nicht für Dich allein“. Gemeinschaft aber braucht Merkzeichen. Sie stellen das erkennbar Bleibende dar, das ein Gotteserlebnis an das andere knüpft. Darum würde jüdisches Gemeindegebet aufhören, jüdisch zu sein, wenn der Gottesdienst von morgen vollkommen anders wäre als der Gottesdienst von heute, von gestern, von vor hundert oder von vor tausend Jahren. Es wäre ein Einbruch in das "kollektive Gedächtnis“ des Judentums. Jüdische Identität ist trotz alledem ständig im Fluss. Sie drückt sich als Beziehung aus: zwischen dem Denken der Vergangenheit, der Selbstvergewisserung der eigenen religiösen Gemeinschaft und den Herausforderungen der Zukunft. Judentum heute wie in der Vergangenheit muss also den Brückenschlag leisten zwischen dem Althergebrachten, dem Festgelegten und dem Bleibenden auf der einen Seite und dem notwendigen Wandel, der Aktualisierung, dem Schöpferischen auf der anderen.

Dazu müssen wir die Grammatik und das Zeichensystem unseres eigenen Herkommens beherrschen und Lesbarkeit unseres "kollektiven Gedächtnisses“ in der Zukunft garantieren. Aber wir müssen auch mit dem Pluralismus von heute fertig werden: mit der Koexistenz unterschiedlicher Lesarten der Tradition innerhalb des Judentums und im Wettstreit unterschiedlicher Weltanschauungen. Global gesehen stehen wir auf einem universalen Marktplatz religiöser Möglichkeiten. Der Säkularismus gehört dazu. Wir Juden stehen aber weniger am Scheideweg zwischen Säkularismus und Religion, meine ich.

Die Kernfrage wird lauten: Finden wir als Gemeinschaft einen Weg zwischen Fundamentalismus und Synkretismus, zwischen Isolation und Assimilation?

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Der Autor ist Rabbiner und leitet das Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam

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