"Terroristen“ für 438 Tage

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Weil sie mit mutmaßlichen Terroristen in Äthiopien zu tun hatten, wurden zwei schwedische Reporter selbst wegen Terrorismus zu elf Jahren Haft verurteilt. Im September kamen sie frei.

Einen Tag bevor der Fotograf Johan Persson (30) und der Journalist Martin Schibbye (32) mithilfe einer Gruppe Oppositioneller die Grenze nach Äthiopien überquerten, wurden diese von der Regierung zur "terroristische Organisation“ erklärt. Weil sie Kontakt mit ihnen hatten, wurden die schwedischen Journalisten eingesperrt. Erst diesen September - nach 438 Tagen - kamen sie frei. Auf Einladung von "Reporter ohne Grenzen“ waren die beiden in Wien. Die FURCHE traf sie zum Gespräch.

Die Furche: Im Juni 2011 sind Sie über Somalia nach Äthiopien eingereist, ohne eine Erlaubnis dafür zu haben. Warum?

Martin Schibbye: In die Konfliktzone in Ogaden, die uns interessiert, kann man nicht legal einreisen. Der schwedische Konzern Lundin fördert dort Öl. Wir wollten darüber recherchieren.

Johan Persson: Weil die Region isoliert ist, stammen alle Informationen, die man darüber hat, aus Erzählungen von Flüchtlingen. Wir wollten herausfinden, ob deren Geschichten über Vergewaltigungen und Folter stimmen. Das geht nicht mit einer Google-Recherche, dafür muss man hinfahren.

Schibbye: Deshalb haben wir Kontakt mit der "Ogaden National Liberation Front“ (ONLF) aufgenommen, die für die Unabhängigkeit der Region kämpft. Die äthiopische Regierung sieht sie als Terroristen.

Persson: Sie sollten uns durch die Region zu den Ölfeldern führen, unser Taxi sein.

Die Furche: Wie viel Zeit blieb zum Recherchieren, bevor sie verhaftet wurden?

Persson: Nach vier Tagen wurden wir von der äthiopischen Armee überfallen. Die ONLF-Mitglieder entkamen, aber wir beide wurden angeschossen.

Schibbye: Wir wussten, dass es riskant war. Aber wir dachten: "Schlimmstenfalls werfen sie uns aus dem Land.“ Das ist schon anderen westlichen Journalisten passiert. Aber stattdessen haben sie uns in der Wüste behalten, medizinische Versorgung und den Kontakt zu unserer Botschaft verwehrt. Wir wurden Tag und Nacht verhört. Man hat Videos mit falschen Beweisen gedreht. Sie versuchten uns gegeneinander aufzuspielen und täuschten uns beiden vor, dass der jeweils andere exekutiert wird.

Die Furche: Was warf man Ihnen vor?

Schibbye: Erst nach zwei Monaten, nachdem wir ins Polizeizentrum in Addis Abeba gebracht wurden, erhob man Anklage gegen uns. Man warf uns die illegale Einreise vor - und Terrorismus. Weil wir als Journalisten mit mutmaßlichen Terroristen gesprochen haben, warf man uns vor, Terroristen zu sein. Der Premierminister verkündete sogar im Fernsehen, dass wir die Drahtzieher des internationalen Terrorismus wären.

Persson: Es ging dabei nicht nur um Martin und mich, sondern um ein neues Gesetz, das sich gegen äthiopische Journalisten und Oppositionspolitiker wendet. Die Regierung benutzte uns nicht nur, um internationale Journalisten abzuschrecken, sondern auch, um Kritiker im Land einzuschüchtern.

Die Furche: Im Dezember wurde Ihnen der Prozess gemacht. Das Urteil: elf Jahre Haft.

Schibbye: Danach wurden wir ins Kaliti-Gefängnis überstellt. Das ist eher ein Sammellager: Es gibt acht Zonen, in unserer Zone lebten 800 Gefangene. Wir teilten uns eine Zelle mit 200 anderen Männern.

Persson: Wir schliefen am Boden, es gab Ratten, kein Wasser, dafür viele Krankheiten.

Schibbye: Am Schlimmsten war es, dass man sich nicht frei ausdrücken durfte. Dadurch verkrüppelt auch die Konversation.

Persson: Im Gefängnis wird auch eine ziemliche Gehirnwäsche betrieben. Wenn man sieht, wie im Staatsfernsehen vor einem gewarnt wird, beginnt man mit der Zeit beinahe, es selbst zu glauben. Die größter Herausforderung war, uns selbst immer wieder daran zu erinnern, dass wir nur Journalisten sind, die ihren Job machen.

Die Furche: Wie ist Ihnen das gelungen?

Schibbye: Wir haben in keinem Moment akzeptiert, dass wir Gefangene sind. Wir sagten uns: "Wir machten eine investigative Undercover-Recherche in einem der härtesten Gefängnisse der Welt.“

Persson: Und wir haben nicht aufgehört, zu arbeiten. Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, bekommen Journalisten sonst nur in Interviews erzählt. Wir haben einen Einblick in Orte, zu denen Journalisten niemals Zutritt haben.

Schibbye: Zwar konnten wir die Geschichte, für die wir ursprünglich nach Äthiopien gefahren sind, nicht recherchieren- dafür sind wir mit einer anderen, viel größeren Geschichte nach Hause gekommen.

Die Furche: Im September 2012 wurden Sie freigelassen. Was war ausschlaggebend?

Persson: Der internationale Druck war groß. Und die äthiopische Regierung hatte schon bekommen, was sie wollte: Internationale und äthiopische Journalisten wurden abgeschreckt. Uns länger zu behalten, hätte ihnen nichts mehr gebracht.

Schibbye: Wir hatten Glück, aber allein in Kaliti sind zurzeit noch sechs Journalisten eingesperrt. Äthiopien hat in den letzten Jahren mehr Journalisten vertrieben als jedes andere Land. Wenn unser Beispiel auch in anderen Ländern Schule macht, dass man Journalisten für Delikte einsperrt, die man ihren Interviewpartnern vorwirft, könnte das schlimme Folgen haben. Es wäre ein einfacher Weg, die internationale Presse auszuschalten. Ob das passiert, hängt auch davon ab, wie die internationale Gemeinschaft mit Äthiopien verfährt.

Persson: Der Preis, den Äthiopien bis jetzt dafür gezahlt hat, ist sehr niedrig. Mit relativ kleinem Aufwand - zwei Freelance-Journalisten ohne großes Verlagshaus im Rücken aus dem kleinen Schweden inhaftieren - haben sie aber große Wirkung erzielt.

Schibbye: Dafür stand ganz Schweden hinter uns. Insgesamt wurden 175.000 Euro gesammelt, damit wir unsere Anwälte bezahlen und unsere Familien uns besuchen kommen können. Und der Botschafter selbst besuchte uns jede Woche im Gefängnis.

Die Furche: Werden Sie weiter so arbeiten?

Schibbye: Natürlich. Wir wollen kein unnötiges Risiko aufnehmen. Aber wir haben im Gefängnis Freundschaft mit vielen wirklich Kriminellen geschlossen, die uns zu Geschichten in ganz Afrika oder Europa führen können. Das wird uns helfen, einzigartigen Journalismus zu betreiben.

Persson: Ich bin überzeugt davon, dass wir jetzt bessere Journalisten sind als vorher.

Schibbye: Auf eine Weise war unsere Inhaftierung auch der Sache dienlich: Jetzt können wir auf die Situation in Äthiopien hinweisen. Vielleicht ist das auch eine Rolle von Journalismus: Vielleicht geht es bei einer Reportage nicht nur um den Text und die Bilder, sondern um ein größeres Konzept.

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