Über den "Messias“ heute

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Ist der "Messias“ im Judentum eigentlich noch eine zentrale Vorstellung? "Ich glaube mit vollkommenem Glauben an das Kommen des Messias, und wenn er auch zögert, so harre ich doch jeglichen Tages seines Kommens“, lautet der 12. Glaubensartikel des Maimonides (1135-1204), bei dem es um die Rückkehr der Juden in ihr Land Israel geht.

Schon die Rabbinen formulierten im Talmud aber eine kollektive Mitwirkungsmöglichkeit: Der Messias werde kommen, wenn ganz Israel zwei- oder auch nur einmal einen Schabbat halte oder ihn aber kollektiv entweihe. Hier steht der Erlösungsgedanke als Utopie im Zentrum, dessen Triebkraft auch Quelle pseudomessianischer Fehlspekulationen in der Geschichte gewesen ist. Das machte den Begriff für viele gefährlich. Seit dem 19. Jahrhundert erfuhr er zudem eine Entpersonalisierung: Die Hoffnung auf eine Erlösergestalt vertrug sich für viele nicht (mehr) mit dem Anspruch des Judentums, zwischen Gott und den Menschen keinen Mittler treten zu lassen. 1910 formulierte Hermann Cohen die jüdische Haltung seiner Zeit: "dass sie die höchste Tat, die sie von Gott erwarten kann, die Vereinigung seiner Kinder in Eintracht und Treue, durchaus nicht von einer Person erwartet.“

Seit der US-Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 60er-Jahre spricht man davon, dass der Einzelne an der "Heilung der Welt“ (tikkun olam) mitwirken solle. Heute wird damit jegliches Engagement jüdischer Gemeinden und Personen für eine bessere Welt beschrieben. Der Zionismus wiederum ist für viele die säkulare Antwort auf die Hoffnung nach der Sammlung aller Juden in einem eigenen Land und hat damit den restaurativen Messianismus eines Maimonides überlagert. Wo sich die Vorstellung eines personalen Messias und gar eine Naherwartung seines Kommens gehalten hat, führt sie heute geradezu aus dem Judentum heraus.

Der Autor ist Rabbiner und leitet das Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam

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