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Das Denken von Jürgen Habermas polarisiert. Polarisierend auch seine Rolle als streitbarer Intellektueller, der sich nicht scheut, aktiv in gesellschaftspolitische Debatten wie den Historikerstreit, die Einschätzung der Gentechnologie, den Kosovokrieg oder die Irakinvasion durch die Vereinigten Staaten einzugreifen. "Vive le Streit!" - so charakterisierte der französische Soziologe Pierre Bourdieu das politische Engagement von Habermas, dem die Sehnsucht nach Konsens in seiner Theorie gegenüberstünde.

Eine Erklärung dieses Gegensatzes findet sich vielleicht in der Biografie des Philosophen, der am 18. Juni seinen 75. Geburtstag feiert. 1929 in Düsseldorf geboren, wuchs Habermas zwar in einem wohlbehüteten Elternhaus auf, wurde aber wegen seiner sprachlichen Behinderung, einer Gaumenspalte, von seinen Schulkameraden häufig verspottet. Wie er im Gespräch mit seinem Biografen Rolf Wiggershaus berichtet, reagierte er damals voll Empörung auf die argumentative Stärke anderer Menschen, die den Schwächeren demütigt. Die Sensibilität für menschliches Leid teilte Habermas mit Theodor W. Adorno, mit dem er am Institut für Sozialforschung in Frankfurt arbeitete.

In diesen Jahren kam es zur Annäherung an den Marxismus, was ihn später zum bevorzugten Gesprächspartner der revoltierenden Studenten im Jahr 1968 machte. Allerdings wandte er sich entschieden gegen die wachsende Radikalisierung der Studenten, die sich in Aufrufen zur symbolischen Gewalt artikulierte. Schließlich fiel das Wort vom "linken Faschismus", das das Ende der Diskussion mit der radikalen Linken bedeutete.Habermas zog sich darauf hin zurück. Gemeinsam mit Carl Friedrich von Weizsäcker gründete er das Starnberger Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt und revidierte seine marxistischen Positionen.

Im Zentrum der Überlegungen von Habermas stand nunmehr die sprachtheoretische Grundlegung der Sozialphilosophie. Habermas entwarf eine Philosophie des kommunikativen Handelns. Sein Ziel war es, grundlegende rationale Regeln und Prinzipien zu rekonstruieren, die der menschlichen Verständigung zu Grunde liegen. Der Kern der Kommunikationstheorie von Habermas ist der Begriff der "idealen Sprechsituation", die sich durch Herrschaftsfreiheit, Gleichberechtigung und Aufrichtigkeit auszeichnet.

In seinem Hauptwerk "Theorie des kommunikativen Handelns" stellte nun Habermas diese Prinzipien einer emanzipierten Gesellschaft der fortschreitenden Kolonialisierung der Lebenswelt gegenüber. Er meinte damit die rational-instrumentelle Vernunft, die sich im "stahlharten Gehäuse des Kapitalismus" manifestiert. Habermas plädierte für eine Hinwendung zur kommunikativen Verständigung zwischen den Menschen, die sich am vernünftigen Gespräch, am zwanglosen Argument orientiert.

Es ist für Habermas klar, dass in der konkreten Alltagskommunikation die von ihm angeführten Bedingungen niemals anzutreffen sind. Das Ziel des kommunikativen Handelns besteht in der wechselseitigen Anerkennung der kommunizierenden Subjekte. Hier ist der Ort der Versöhnung der mit sich selbst zerfallenen Moderne, für die sich Habermas verantwortlich fühlt. Dieses Gefühl der Verantwortung erklärt Habermas überraschende Wendung zur Religion, die sich in den letzten Jahren abzeichnet.

Der Autor ist Mitarbeiter der Wissenschaftsredaktion von Ö1.

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