Ehrung für einen engagierten Intellektuellen

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Jürgen Habermas, der als Gelehrter und Intellektueller mit großem Weitblick und Engagement gleichermaßen präzis und kritisch die Diskussionen über die geistige Situation der Zeit und ihren Wandel mitbestimmt hat, erhält zwei Wiener Preise, den Ehrenpreis des Viktor Frankl-Fonds für sinnorientierte humanistische Psychotherapie und den Erwin Chargaff Preis für Ethik und Wissenschaft im Dialog.

Habermas hat für die Humanities einige Hauptlehrziele formuliert, ihren Stellenwert festgeschrieben. Es geht darum, das Projekt der Aufklärung, die kritische Reflexion auf Gesellschaft, auf ihre Institutionen, Normen und Werte, auf die Lebenswelten weiterzuführen. Es ist nicht nur sein wissenschaftliches Werk, sondern sein Engagement in wichtigen Debatten, was ihn für die intellektuelle Geschichte der letzten Jahrzehnte so wichtig macht.

Die Geschichte der Identität, der Aufgaben, der Grundlagen und der Methoden der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften wurden in diesen Debatten von ihm wesentlich mitbestimmt, und die Entwicklung der Gesellschaft und der auf diese Entwicklung bezogenen Debatten haben ihm fast durchwegs recht gegeben.

Bereits in seinem Buch "Strukturwandel der Öffentlichkeit“ konstatiert Habermas Ende der 50er-Jahre einen Verlust an Öffentlichkeit. Für die demokratische Gestaltung der Gesellschaft wichtige Debatten würden in Arkanbereichen, in der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereichen geführt.

In den Jahren der Studentenbewegung und -revolte 1967 bis 1969 nahm Habermas eine sehr differenzierte Position ein. In den 70er Jahren - nach dem Radikalenerlass - in der Zeit der schärfsten Konfrontation zwischen dem Staat und der RAF, kritisierte Habermas den Generalverdacht gegenüber Persönlichkeiten, die in engagierten sozialen Projekten und Initiativen tätig waren.

Im Positivismusstreit mit Hans Albert stellte Habermas 1963 das damals noch gängige Postulat der Wertfreiheit infrage. Das aktuelle Selbstverständnis der Humanities, das Selbstreflexivität der Wissenschaften fordert, knüpft an Habermas an.

Am 11. Juli 1986 publizierte Habermas in der ZEIT den Artikel "Eine Art Schadensabwicklung“, der den sogenannten Historikerstreit über die Bewertung des Nationalsozialismus und der Shoah auslöste. Habermas kritisierte in dieser Auseinandersetzung die Totalitarismusthese, deutsche Historiker, die den Nationalsozialismus mit dem Stalinismus auf eine Stufe stellten.

An der deutschen Wiedervereinigung kritisierte er die "Abwicklung der DDR“, das Versäumnis einer eigenen demokratischen Dynamik und normative Defizite. Es hätte ja - so Habermas - die Wiedervereinigung auch als ein "normativ gewollter Akt der Bürger beider Staaten, die sich politisch selbstbewusst zu einer gemeinsamen Staatsbürgernation zusammenschließen“ stattfinden können. Die aktuellste Debatte, in die Jürgen Habermas eingetreten ist, betrifft das Verhältnis von Philosophie und Hirnphysiologie. Gegenüber einer Darstellung des Menschen aus einer reduktionistischen, ja bio-logistischen Perspektive wendet Habermas ein, dass das, was in der Gesellschaft geschieht, nicht auf hirnphysiologische Mechanismen reduziert werden kann.

Für dieses Engagement, für eine neue europäische Aufklärung, für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, für ein Eintreten für soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und für eine Verfassung dankt Ihnen die Öffentlichkeit.

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