Das internette Lied vom Gemeinwohl 4.0

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Die kapitalistische Ära wird vorbeigehen, nicht schnell, aber unvermeidlich. Ein neues ökonomisches Paradigma -das der gemeinsamen Güter -wird an seine Stelle treten, das unseren Lebenswandel transformiert." Mit diesen Sätzen beginnt Bestsellerautor Jeremy Rifkin sein neues Buch "The Zero Marginal Cost Society". Ist der Kapitalismus dem Untergang geweiht?

Die Kernthese des Buchs ist: Die Grenzkosten, also jene Kosten, die bei der Produktion einer zusätzlichen Einheit eines Produkts entstehen, streben gegen null. Rifkin schildert dies am Beispiel des Buches. Eine wachsende Zahl von Autoren macht die Inhalte für wenig Geld -oder gar gratis - im Internet verfügbar und umgeht dabei Redakteure, Verlage und Druckereien, wo Kosten angefallen wären. Die Kosten sinken mehr denn je gegen null. Die Verbreitung eines E-Books kostet praktisch nichts. Doch ist das nicht das Einzige.

Die Gratiskultur

Wir streamen Filme über Netflix, nutzen Internettelefonie über Skype und lesen Nachrichten online - weitgehend gratis. "Das Beinahe-Null-Grenzkosten-Phänomen hat bei der Verlags-,Kommunikations-und Unterhaltungsindustrie bereits Chaos verursacht, indem mehr und mehr Informationen nahezu kostenfrei Milliarden Menschen zur Verfügung gestellt werden", schreibt Rifkin. Jeder Dritte produziert heute eigene Inhalte und teilt sie über soziale Netzwerke. Rifkin nennt sie die "Prosumenten" - Konsumenten, die ihre Produzenten sind. Es entsteht eine Art Do-it-yourself-Gesellschaft.

Die Folge dessen ist jedoch, dass mit diesem Angebot entgegen der Annahme des Say'schen Theorems keine neue Nachfrage erzeugt wird, sondern die Profite schrumpfen. "Indem mehr Güter und Dienstleistungen frei von Kosten werden, werden weniger Käufe getätigt, und dadurch reduziert sich das Bruttoinlandsprodukt", meint Rifkin. Künstliche Intelligenz und Robotertechnik lassen das BIP weiter sinken. Müssen wir uns vom Wachstum verabschieden? Nicht unbedingt. Der Punkt ist, dass das BIP als Messgröße für die ökonomische Performanz zunehmend untauglich wird, so Rifkin.

Denn die Produktivität, das ist das Paradoxon, steigt ins Unermessliche. Hierin liegt der Mehrwert des Buches: Der Autor erhellt ein Problem, auf das die klassischen und neoklassischen Theorien keine Antworten gegeben haben. Die Produktivität steigt, aber die Profite schrumpfen. Rifkin referiert Moore's Law: Dies besagt, dass die Speicherkapazität eines festgelegten Stücks Silizium sich alle 12-18 Monate verdoppelt. Es ist wie mit dem Schachbrett und dem Reiskorn.

Gleichzeitig werden Speicherchips immer billiger. Das hat Implikationen für das gesellschaftliche Zusammenleben: "Die Verbindung von jedermann mit allem in einem neuronalen Netzwerk bringt die Menschheit aus dem Zeitalter der Privatheit, dem definierenden Kriterium der Moderne, in die Ära der Transparenz." Der Mensch wird gläsern. Doch Rifkin glaubt, dass sich auch das Freiheitsverständnis ändern wird. "Für eine jüngere Generation, die in einer global vernetzten Welt mit Facebook, Twitter, You-Tube, Instagram und anderen zahlreichen sozialen Netzwerken aufwuchs, hat Privatsphäre viel an Anziehungskraft verloren. Für sie ist Freiheit nicht mehr an Autonomie gebunden, sondern an den Zugang zu anderen im globalen Dorf."

Vom Eigentum zum Zugang

Vom Eigentum zum Zugang, das ist der zugrundeliegende Paradigmenwechsel. Die Krise von 2008 hat nach Rifkin das Ende der dritten industriellen Revolution eingeleitet. Die private und öffentliche Verschuldung ist explodiert. Die Kreditvergabe geschieht mehr und mehr über Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter, das ein Volumen von knapp einer Milliarde Dollar erreicht hat. Wir sind in der Share Economy angelangt, in der Güter geteilt werden. Car-Sharing ist das wohl bekannteste Beispiel.

Sie ist ein Hybrid zwischen Markt-und Sozialwirtschaft, wobei letztere sich der Regulierung des Staates entzieht und auf Konventionen der Marktteilnehmer angewiesen ist. Die Frage, die daran anknüpft, ist jedoch, wie wir Eigentumsrechte -vor allem geistiges Eigentum -in einem Meinungsklima definieren, in der die Mehrheit diese Eigentumsrechte in Frage stellt.

Erodierende Monopole

Monopole und Patente, so der Ökonom, sind auf jeden Fall im Begriff zu erodieren. Man könne in der Industrie 4.0 nicht mehr einfach per Gesetz die Hand schützend über ein Gut halten, es sozusagen künstlich verknappen oder andere einfach davon abbringen, etwas Neues zu erfinden. Die Innovationskraft in der sogenannten Industrie 4.0 ist ja dennoch ungebrochen. Das Internet ist laut Rifkin das Vehikel, die alten, zentralistischen Eigentümerstrukturen zu umgehen. Die Märkte werden in der neuen Zeit zu Netzwerken. Die These, dass das Internet die alten Platzhirsche verdrängt, stimmt jedoch nur zum Teil -und das ist vielleicht auch die Achillesferse von Rifkins Argumentation.

Das World Wide Web ist ja schließlich selbst auch ein Oligopol. Es besteht aus den Milliarden-Giganten Facebook, Microsoft und Google, welche die gesamte zugehörige Technologie dominieren und dazu auch noch den aktuellen und künftigen Werbemarkt unter sich aufteilen. An manchen Stellen ist das Buch deshalb zu idealistisch geraten. Die Vorstellung etwa, dass sich das Internet in eine moderne Allmende verwandelt, erscheint an der Realität gemessen illusionär. Schließlich geht es auch im Internet um Profit. Und um Macht. Es fällt zudem auch schwer zu glauben, dass die Internetgemeinde dem militärisch-industriellen Komplex aus Geheimdiensten und Internetkonzernen etwas Ebenbürtiges entgegensetzen kann.

Trotzdem: Jeremy Rifkins neues Buch ist von beeindruckender analytischer Schärfe. Der Autor, der zahlreiche Regierungen beraten hat, gehört zu einem der wenigen Vordenker, die die Internetrevolution zu deuten vermögen.

The Zero Marginal Cost Society The Internet of Things, the Collaborative Commons, and the Eclipse of Capitalism. Von Jeremy Rifkin, Palgrave Macmillan 2014.368 Seiten, gebunden, € 23,30

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