"KEIN TESTOSTERON mehr auf der Straße"

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Autonom fahrende Autos könnten uns schon bald bequem durch die Landschaft kutschieren, doch wo ist der Haken? Und in welche Richtung wird sich unser Mobilitätsverhalten bewegen?

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Autonom fahrende Autos könnten uns schon bald bequem durch die Landschaft kutschieren, doch wo ist der Haken? Und in welche Richtung wird sich unser Mobilitätsverhalten bewegen?

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Die Automobilkonzerne sind intensiv am Tüfteln und Testen -vom fahrerlosen Auto sind wir nicht mehr weit entfernt. Über die Herausforderungen, Chancen und Risiken dieses Technologiesprungs spricht der Bremer Verkehrsplaner Michael GlotzRichter, der auch international für nachhaltige Mobilitätskonzepte zuständig ist.

DIE FURCHE: Wie wird das autonome Fahren unsere Fahrgewohnheiten ändern?

Michael Glotz-Richter: Die Prognosen besagen, dass es zu einer erheblichen Verkehrszunahme kommen wird, weil das fahrerlose Taxi eine sehr bequeme und damit attraktive Mobilitätsform darstellt. Es sammelt einen, via Handy-App gerufen, auf und bringt einen an den Wunschort. Da kommen große Herausforderungen auf uns zu in puncto Verkehrsaufkommen.

DIE FURCHE: Es besteht also die Gefahr, dass nicht weniger, sondern mehr Autos unterwegs sein werden?

Glotz-Richter: Wenn alle einzeln in ihren Kapseln herumbrausen, ist das einfach nicht bewältigbar. Wir werden auch in Zukunft U-Bahn, S-Bahn, Straßenbahn und Buskorridore für hoch belastete Linien brauchen. Den Verkehr der Zukunft können wir nur mittels Shared-Modellen und Dienstleistungen bewältigen - nicht durch den Einzelbesitz. So könnten wir bis zu 90 Prozent der Fahrzeuge aus den Städten rausbekommen - aber nur wenn diese automatischen Taxis als Dienstleistung den heutigen Einzelbesitz von Autos ablösen.

DIE FURCHE: Welche neuen Shared-Modelle sind denkbar?

Glotz-Richter: Viele. Wir brauchen flexible Rufbus-Systeme und Plattformen, wo mehrere Leute gemeinsam in dieselbe Richtung fahren. Da ist ein großes Potenzial speziell für den ländlichen Raum vorhanden.

DIE FURCHE: Wird auch ein Pendeln über weitere Strecken leichter möglich sein?

Glotz-Richter: Ja. Wenn man mit autonomen Fahrzeugen unterwegs ist, ist es wie im Zug: Man kann den Laptop aufklappen und arbeiten oder schlafen. Die Reichweiten werden noch größer, wir werden noch mehr unterwegs sein.

DIE FURCHE: Wieweit ist die autonome Fahrtechnologie schon?

Glotz-Richter: Die Automobilindustrie arbeitet in Richtung einer Schritt-für-Schritt-Einführung von autonomen Systemen, zunächst über Fahrerassistenten, während das Google-Auto gar kein Lenkrad mehr hat. Durch die Elektronik lassen sich Autos gut individualisieren: Der Sitzt stellt sich auf meine Maße ein, das Unterhaltungssystem weiß, was ich gerne höre oder anschaue.

DIE FURCHE: Geben wir da nicht viel Verantwortung an Maschinen ab?

Glotz-Richter: Gegenfrage: Mit welcher ethischen Begründung lassen wir heute relativ wenig trainierte Fahrer im Berufsverkehr unterwegs sein? 90 Prozent der Unfälle sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen und wären vermeidbar. Das Navigationssystem könnte dem Auto heute schon sagen: "Du bist jetzt in einer Stadt und darfst nicht schneller als 50 fahren." Ich hoffe sehr, dass durch die elektronische Programmierung die Rücksicht auf Fußgänger viel größer wird.

DIE FURCHE: Kann die Technologie je so flexibel wie ein Mensch ethische Entscheidungen treffen: Fahre ich jetzt in das Schulkind oder in die Mülltonne hinein?

Glotz-Richter: Ich drehe es noch mal um: Wir vermeiden derzeit 90 Prozent der Unfälle nicht, weil wir dem Fahrer die Entscheidung überlassen. Jedes Flugzeug ist überwiegend computergesteuert.

DIE FURCHE: Warum haben wir dann noch Piloten und Co-Piloten in jedem Flieger?

Glotz-Richter: Gute Frage. Passat oder Volvo haben heute schon eine elektronische Fußgängererkennung, wodurch das Auto automatisch zu bremsen beginnt, wenn das menschliche Auge den Fußgänger noch gar nicht erkannt hat. In zehn Jahren werden wir markttaugliche Fahrzeuge haben.

DIE FURCHE: Wie kann man sich den Verkehr dann vorstellen?

Glotz-Richter: Das wird eine schwierige Phase, wenn testosterongesteuerte Fahrzeuge und elektronisch-rational gesteuerte Fahrzeuge gleichzeitig unterwegs sind. Die beiden Systeme zusammenzubringen funktioniert nur bei einem großen Fahrzeug-Abstand, weil die autonomen Fahrzeuge immer die irrationale Reaktion der menschlichen Lenker einkalkulieren müssen. Studien sagen bei einem rein autonom gelenkten Autoverkehr bis zu 40 Prozent mehr Effizienz in Hinblick auf den Platzverbrauch voraus. Wenn die neue Technologie kommt, werden wir aber einen wirtschaftlichen Vorteil haben -vor allem im Fernverkehr.

DIE FURCHE: Werden da nicht mehr Jobs abgebaut als geschaffen, etwa jener der LKW-Fahrer?

Glotz-Richter: Ja, natürlich. Es gibt im öffentlichen Verkehr immer mehr fahrerlose U-Bahn-Systeme. Eventuell ist es dann sinnvoller, die Person als Servicekraft im Passagierbereich anzustellen, als dass sie abgeschlossen vorne in der Fahrerkabine sitzt.

DIE FURCHE: Wobei LKW-Fahrer dann ihre Funktion gänzlich verlieren würden, nicht?

Glotz-Richter: Ja. Die Heizer auf Lokomotiven gibt es auch nicht mehr. Technologien verändern unsere Lebens- und Arbeitswelt. Man wird sich nicht mit dem Argument der Systemerhaltung durchsetzen. Taxifahrer werden dann auch obsolet.

DIE FURCHE: Viele Fahrer haben die Illusion von Kontrolle: "Ich bin ein guter Fahrer." Ist da nicht die Hemmschwelle hoch, die Kontrolle abzugeben - so wie auch viele Angst vor dem Fliegen haben?

Glotz-Richter: Schauen Sie mal, wenn Sie in einer fahrerlosen U-Bahn sitzen, etwa in Paris: Die Leute lesen, spielen an ihrem Smart Phone rum, da hat man nicht den Eindruck, dass sich jemand fürchtet.

DIE FURCHE: Selbst die U-Bahn zu steuern sind wir ja nicht gewohnt.

Glotz-Richter: Die Gewohnheit ist der Punkt. Als ich klein war, gab es im Kaufhaus in Berlin noch Fahrstuhl-Führer. Das vermisst keiner. Das autonome Fahren wird sicher soziale Nebeneffekte haben, die wir alle nicht gut finden: Job-Verlust. Als Verkehrsplaner muss ich aber die technologischen Entwicklungen der nächsten 20 Jahre mitdenken, damit die Stadt auch dann noch funktioniert.

DIE FURCHE: Die US-Verkehrssicherheits-Behörde hat bereits festgestellt, dass Computer als Fahrer anerkannt werden können. Wie schaut die Rechtslage in Europa aus?

Glotz-Richter: Es gibt Entwürfe für Regelungen, die ähnlich sind wie bei einem ICE-Lokomotivführer. Der überwacht auch nur die Systeme und drückt alle paar Sekunden einen Knopf, um zu zeigen, dass er in der Lage ist, das System notfalls manuell zu übernehmen.

DIE FURCHE: Ist das kombinierte System tatsächlich nicht das gefährlichste? Man verlässt sich auf die Maschine, ist abgelenkt und muss dann plötzlich schnell eingreifen.

Glotz-Richter: Die Rückübernahme ist wirklich ein Problem, gerade wenn es ganz schnell gehen soll. Wir Menschen sind gar nicht so schnell im Gegensatz zu Maschinen.

DIE FURCHE: Was passiert, wenn die Software von Autos gehackt wird?

Glotz-Richter: Es gab bereits Beispiele, wo Passagiere über das Unterhaltungssystem plötzlich in die Flugzeugsteuerung gelangt sind. Diese Systeme muss man fast physisch trennen. Cyber-Attacken im Verkehr sind sicher eine der Achillesfersen der Zukunft.

DIE FURCHE: Wenn nun also bei einem Unfall mit Personalschaden der Computer falsch reagiert hat, wer ist verantwortlich?

Glotz-Richter: Da machen sich Juristen permanent Gedanken, das muss geklärt werden. Die Verkehrssicherheit ist aber sicher das bestechendste Pro-Argument. Programmierte Fahrzeuge halten sich an programmierte Regeln, parken nur dort, wo es erlaubt ist. Es gibt kein Testosteron mehr auf der Straße - auch wenn das einige Leute vermissen werden.

DIE FURCHE: Ist es denkbar, dass man irgendwann gar nicht mehr selbst fahren darf?

Glotz-Richter: Ja. Die Frage wird sein: Kriegt man ein Nebeneinander der Systeme hin, oder wird es Bereiche geben, wo sich nur autonome Fahrzeuge bewegen dürfen und das Selber-Fahren sich auf Reservate beschränken muss?

DIE FURCHE: Dann wird also nicht mehr mit "Freude am Fahren" für Automarken geworben.

Glotz-Richter: Naja, es gibt auch die Freude am Gefahrenwerden. Nehmen wir doch das Beispiel des Cabrios, das die Küstenstraße entlangbraust: Wenn es da ein Küsschen gibt, war das bislang eine Gefährdung des Verkehrs. Freude kann also auch anders aufkommen. Diese Bequemlichkeit kann auch einen Lustgewinn bringen. DIE FURCHE: Ist es denkbar, dass wir in 100 Jahren in autonom fliegenden Kapseln durch die Luft reisen werden? Glotz-Richter: Der Luftraum ist zwar dreidimensional, aber der Energieaufwand wäre schon sehr hoch. Das ist mir jetzt doch ein bisschen zu sehr Science Fiction.

Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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