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Gefangen im neuronalen Netz

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Die roten Schuhe um 59 Dollar und 95 Cent gefielen Diane F. sehr. Doch sie sollte keine Freude daran haben: Als sie bezahlen wollte, wurde sie vom Sicherheitsangestellten des Schuhgeschäftes höflich, aber bestimmt gebeten, ihm zu folgen. Ein Blick der Kassiererin auf eine Liste hatte genügt, um zu erkennen, daß Dianes Kreditkarte gestohlen war.

Ihre Überführung verdankt Diane jedoch nicht menschlichem Spürsinn, sondern einem neuronalen Netz, einem Produkt aus der Zunft der künstlichen Intelligenz. Die Chase Manhattan Bank hatte alle ihre Informationen über gestohlene Kreditkarten von dem Netz untersuchen lassen. Dieses hatte herausgefunden, daß die meisten Käufe mit geklauten Karten für Damenschuhe in der Preisklasse zwischen 40 und 80 Dollar getätigt wurden. Pech für Diane, daß sie mit einer Kreditkarte jenes New Yorker Geldinstituts bezahlen wollte.

Muster erkennen und Gesetzmäßigkeiten aus der Erfahrung ableiten: Neuronale Netze haben das menschliche Gehirn zum Vorbild.

Neuronale Metze arbeiten nach dem Pinzip des menschlichen Gehirns. Das bis zu eineinhalb Kilogramm schwere Organ in unserem Kopf besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen, den Neuronen, die netzartig miteinander verbunden sind. Ein Neuron erhält von etwa 100 anderen Nervenzellen elektrische Signale. Dadurch gerät es in einen Erregungszustand. Überschreitet die Erregung eine bestimmte Grenze, so sendet das Neuron seinerseits ein Signal an rund hundert andere Nervenzellen aus.

Die Bausteine eines neuronalen Netzes („Units") sind ebenso miteinander verbunden wie die Neuronen des menschlichen Gehirns. Nur handelt es sich dabei nicht um biologische Zellen, sondern um einzelne Computer oder um einzelne, scharf voneinander abgegrenzte Programme in einem Rechner.

Neuronale Netze können aus einer Menge an Beispielen Regeln und Gesetzmäßigkeiten ableiten und diese auf Reispiele anwenden, die sie noch nicht kennen. Einschrifterkennendes Netz etwa kann, wenn es oft genug ein „A" in verschiedensten Schriftarten gesehen hat, ein „ A" in einer ihm unbekannten Schreibweise identifizieren. Neuronale Netze können auch Muster in Bildern erkennen. Ein Netz, das auf Schädelröntgenbilder trainiert wurde, kann so beurteilen, ob ein Patient gesund ist oder einen Gehirntumor hat.

In der Medizin werden neuronale Netze zunehmend zum Einsatz kommen. Das Österreichische Forschungsinstitut für Artificial Intelli-gence arbeitet gegenwärtig an Netzen, die die Blutpumpe in Herz-Lungen-Maschinen steuern. Ein anderes Projekt des Instituts ist die Erkennung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen durch ein neuronales Netz, das Elektroenzephalogramme (EEG), also Abbilder von elektrischen Strömen im Gehirn, analysiert.

„Die Aussagen eines trainierten neuronalen Netzes ähneln denen eines erfahrenen Spezialisten, der mit der Zeit ein Gespür dafür bekommen hat, worauf es ankommt", schreibt Hans Uhlig, der sich in einem kürzlich erschienen Buch mit „Finanzprognosen mit neuronalen Netzen" beschäftigt (Vahlen Verlag München 1995, 135 Seiten). Neuronale Net;,e sind seiner Meinung nach sinnvo 1, um sich auf den für Menschen immer undurchschaubareren Finanzmärkten zurechtzufinden.

Ein Mensch, der durch Erfahrung gelernt hat, kann sein Wissen weite -geben. Ein neuronales Netz vermag dies jedoch nicht, da seine Kenntnisse nicht aus gespeicherten und abruft; -ren Daten bestehen. Das Wissen eine s neuronalen Netzes besteht in der A t und Weise, wie seine Units miteinar der verknüpft sind, das Wissen/ist als a im Netzwerk als ganzem gespeichert

Wird ein Unit vom Netz getrenn;, geht nur ein kleiner Teil dessen vei loren, was es gelernt hat - wie beim Menschen, in dessen Gehirn täglici Abertausende von Nervenzellen ab sterben.

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