Täglich lese ich drei Zeitungen, zwei inländische, eine ausländische. Das heißt, ich lese sie natürlich nicht ganz, sondern überfliege vieles. Es ist schon ein Ritual geworden. Wie jedes Ritual hat es auch etwas Unterhaltsames. Danach bin ich zwar wissender als zuvor, aber keineswegs klüger. Was ist nun zu tun angesichts all dessen? Steht mein alltägliches Tun in irgendeiner Verbindung mit all diesen Ereignissen? Während ich mich unterhalte, stecken die anderen im Ernst des Lebens. Aber eigentlich will ich da ja auch hin, zum Ernst des Lebens, dorthin, wo es wirklich um etwas geht.
In meiner Ratlosigkeit habe ich schließlich eine Entdeckung gemacht. Sooft ich angefangen habe, mich mit anderen zu unterhalten, bin ich ganz mühelos in den Ernst des Lebens geraten. Da braucht es nur die Bereitschaft zuzuhören und im Reden den Anderen wahrzunehmen. Als Priester habe ich immer wieder zu predigen und überhaupt den Mund viel offen. Predigen ist für mich eine Form der Unterhaltung geworden, ich unterhalte mich mit all den Leuten in der Kirche. Auch wenn ich alleine spreche, bekomme ich sehr viel Antwort. Die Zeitungslektüre ist ein sehr gutes Mittel, um diese Unterhaltung führen zu können. Für das Gespräch mit Kindern ist sie allerdings nicht hilfreich. Da muss ich Dinge wissen, die kaum in einer Zeitung zu lesen sind. Die Unterhaltung mit Kindern macht aber klug. Sie haben mich viel gelehrt über den Ernst des Lebens.
Unterhalten kann ich mich nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Dingen. Mit Kunstwerken zum Beispiel. Da gibt es die witzigen, die charmanten, die weisen, die stillen … Ich meide die geschwätzigen, doch ist ihnen nicht immer zu entkommen. Diese Unterhaltung mehrt immer das Wissen, nicht selten bin ich danach aber auch klüger.
Es ist also die Unterhaltung mit anderen, die mir den Zugang zum Ernst des Lebens ermöglicht.
* Der Autor ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien.
