Der täuschend echte Österreicher

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Der Burgtheaterschauspieler Josef Meinrad wäre am 21. April 100 Jahre alt geworden. Eine Symbolfigur über alle Brüche und Kontinuitäten des 20. Jahrhunderts hinweg.

Schauspieler dienen als Projektionsfiguren, das Angebot zur Identifikation ist Bestandteil der Darstellenden Kunst. Josef Meinrad erfüllte diese Rolle auf besondere Weise: Egal, welche Figur er verkörperte, er scheute sich nicht, sich manchmal klein zu machen. Als Malvolio in Shakespeares "Was ihr wollt“ spielt er mit der Schadenfreude des Publikums, wenn er den Haustyrannen der Lächerlichkeit preisgibt. Als Theodor in Hofmannsthals "Der Unbestechliche“ kehrt er die Machtverhältnisse um und wird zur eigentlichen moralischen Instanz.

Durch eine zum Teil ausgestellte Naivität, das "Kokettieren mit Schwäche“ in Kombination mit einer exzessiven Begeisterung erreichte Meinrad eine besondere Fallhöhe und damit Komik, die ihm die Sympathien seines Publikums einbrachten.

Sicherheit und Bescheidenheit

Auch in seiner privaten Selbstinszenierung unterstützte Meinrad das Bild des "kleinen Mannes“, der durch Tüchtigkeit und Professionalität zu Erfolg kommt. Bezeichnend dafür ist die bekannte Geschichte um den Kauf seines Rolls-Royce. Auf die Journalistenfrage "Sie haben sich kürzlich einen neuen Wagen zugelegt. Warum ausgerechnet einen Rolls-Royce?“ wusste Meinrad, was sein Publikum hören wollte: "Aus Sparsamkeit! Bisher war es nötig, die Autos jedes Jahr zu wechseln. Der neue wird mir sicher zehn Jahre gute Dienste leisten.“

Nicht zuletzt waren Sicherheit und Bescheidenheit entscheidende Werte der Nachkriegsjahre, und der aus Hernals stammende, jüngste Sohn einer kinderreichen Arbeiterfamilie wurde zum Vorbild mehrerer Generationen.

Während des "Ständestaats“ trat er an verschiedenen Kabaretten auf, u. a. bei Leon Askin mit Texten von Jura Soyfer, in der NS-Zeit war er am Fronttheater in Metz engagiert, 1945 kehrte Meinrad nach Wien zurück und spielte bei Leon Epp. Bereits 1947 ging Meinrad ans Burgtheater, parallel dazu reüssierte er im österreichischen Nachkriegsfilm, häufig als verständnisvoller Freund und liebevoller Partner. In dieser Phase etablierten sich jene Attribute, die für ihn als charakteristisch angenommen wurden, er galt als "idealer Mann“ in einer Zeit, in der nicht der virile Held gefragt war, sondern der unterstützende Partner. 1948 etwa spielte er in dem Film "Anni“ den Klavierbauer Heinrich, der die alleinerziehende Titelheldin heiratet und ihrem Kind ein liebevoller Vater ist. Meinrads warmherziger Spielstil trug entscheidend dazu bei, dass "Anni“ zu den erfolgreichsten Filmen der Nachkriegszeit zählte.

1952 wurde Meinrad als österreichischer Ministerpräsident in dem "Staatsfilm“ "1. April 2000“ besetzt. Schon damals galt er als ideal in dieser Rolle, hielt man ihn doch für den "österreichischesten“ unter den heimischen Schauspielern.

Identität und Wiederaufbau

Der Begriff des "Idealen“ sollte Meinrad begleiten, nicht zuletzt erhielt er 1959 die höchste Auszeichnung für Schauspieler im deutschsprachigen Raum: den Iffland-Ring. Auf außergewöhnliche Weise entsprach Meinrad der Forderung des Stifters, August Wilhelm Iffland, nach der "Idealisierung von Natur und Wahrheit“. Laut Iffland "malt“ der Akteur ein lebendiges Bild des Menschen, indem er durch Selbsttäuschung zugleich das Publikum täuscht. (Bedeutete bei Luther "teuschen“ noch "betriegen“, wird hier "täuschen“, also andere etwas Falsches glauben machen, zu einem gepriesenen Akt, der die Natur als "das Bild von Gottes Schöpfung“ hervorbringe.) Bei Meinrad kommen also zwei Faktoren zusammen: Auf der einen Seite entsprach er einer (bis heute vorherrschenden) Idee von Schauspielkunst im Sinne größtmöglicher Glaubwürdigkeit, auf der anderen Seite ließen sich über ihn identitätsstiftende, affirmative nationale Werte vermitteln, die für den österreichischen Wiederaufbau notwendig waren.

Meinrad repräsentierte ein idealisiertes, idyllisiertes Bild des Österreichers. Standen doch damals nicht kulturelle Neuorientierung, sondern ein romantisierendes Image des Landes im Zentrum der Bestrebungen.

Meinrads virtuose, manchmal verharmlosende Figuren-Interpretationen passten ideal in die Weichenstellung, die für die ers-ten Jahrzehnte der Zweiten Republik erfolgt war. Vor allem der Tischler Valentin aus Ferdinand Raimunds "Der Verschwender“ wurde zu einer zentralen Rolle, die er immer wieder spielte. Die Inszenierungen waren verschieden, aber die Beliebtheit seines Valentin beim Publikum blieb konstant und verselbständigte sich. Sie hing nicht nur mit "der Sehnsucht nach der alten Zeit“, sondern auch mit der "Illusion oder Lüge vom Nichtbeteiligtsein des ‚kleinen Österreichers‘ an den Schrecknissen der jüngeren Zeit“ zusammen und konnte zum "Bildnis des Österreichers als zufriedener Kleinbürger“ beitragen, so der Theaterwissenschaftler Peter Roessler.

Kirche und Staat

Legendär wurden auch Meinrads Nestroy-Interpretationen: 1956 spielte er in Leopold Lindtbergs Inszenierung von "Einen Jux will er sich machen“ den Weinberl, von da an verschmolz er im öffentlichen Bewusstsein nicht nur mit dieser Rolle, sondern avancierte zum steten Darsteller von Nestroy-Figuren.

Meinrads in der Öffentlichkeit wahrgenommene Religiosität prädestinierte ihn für die Darstellung geistlicher Würdenträger. Dieser Ansicht war auch die katholische Kirche, die sich in besetzungspolitische Fragen einmischte, da sie in Meinrad den idealen Schauspieler für Priesterrollen sah, nicht nur weil er "diese im Film und auf der Bühne würdevoll und lebensecht“ gegeben habe, sondern auch "wegen seines tadellosen Lebenswandels und seiner Erziehung im Kloster“.

1949 reüssierte Meinrad als Pater Clemens im Heimatfilm "Das Siegel Gottes“. Zur Premiere ins Wiener Apollo-Kino kamen zahlreiche hohe politische und kirchliche Würdenträger, darunter auch der aufgrund seines Verhaltens gegenüber NS-Deutschland umstrittene Kardinal Theodor Innitzer, den Meinrad wenige Jahre später im Film darstellen sollte.

Meinrad spielte aber auch den Widerstandskämpfer Pater Rupert Mayer oder, besonders prominent, Pfarrer Dr. Wasner in der "Trapp-Familie“. Außergewöhnliche Popularität erlangte er als Pater Brown in der gleichnamigen TV-Serie und adressierte als katholischer Priester, der in seiner Freizeit Kriminalfälle löst, ein neues Zuschauerfeld.

Nach seinem Tod 1996 manifestieren die große Anteilnahme der österreichischen Bevölkerung sowie die offiziellen Auftritte von Kirche und Staat seine Bedeutung. Kardinal Franz König betonte in seiner Trauerrede den Vorbild-Charakter Meinrads und unterstrich dessen Rolle als "unnachahmliche Inkarnation des Österreichischen. Meinrad ist ein Symbol österreichischer Kontinuität über alle Brüche dieses Jahrhunderts hinweg gewesen“.

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