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JOSEF MEINRAD GIRARDIS LEGITIMER NACHFAHRE

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Der Burgschauspieler Josef Meinrad wollte gerade seine Wohnung verlassen, m einer Generalprobe von Schnitzlers „Weitem Land“ beizuwohnen, als das Telephon klingelte. Er möge doch in die Burgtheaterdirektion kommen. Dem Ahnungslosen wurde dort eröffnet, Werner Krauss habe ihm den Iffland-Ring, die begehrteste Auszeichnung aller deutschsprachiger Schauspieler, vermacht. Die Tränen liefen ihm die Wangen herunter, als er den an ihn gerichteten Brief las: Nun können Sie, lieber Josef Meinrad, wich nicht mehr fragen, warum ich Sie zum Träger bestimmt habe. Da muß ich es jetzt niederschreiben: Sie, lieber Josef Meinrad, sind für mich in Ihrer Einfachheit, Ihrer Schlichtheit, Ihrer Wahrhaftigkeit der Würdigste. Darum, bitte, nehmen Sie den Ring. Tragen Sie ihn und gedenken Sie manchmal meiner …“

Die Ueberraschung war in der Tat eine vollkommene. Vermutungen wurden angestellti Namen wurden genannt. Aber Werner Krauss hatte die Entscheidung schon 1954 getroffen. Meinrad stand insgesamt nur dreimal mit ihm auf der Bühne, in einem Hochwälderstück, einem von Shakespeare und in der vorletzten Burgtheaterinszenierung von „Wallenstein“, sonst gab es keinerlei persönlichen Kontakt zwischen den beiden. Wir wissen aber heute, daß Krauss fast immer, wenn er in Wien spielfrei hatte, die Nestroy- und Raimund-Aufführungen besuchte, in denen Meinrad auftrat. Er saß mit seinem Buben im Parkett und machte ihn auf den begnadeten Darsteller aufmerksam. Er sah in Meinrad den legitimen Nachfahren Alexander Girardis. Krauss handelte so, wie Basserwann gehandelt hatte, der den Iffland-Ring an Girardi, dem größten 'Volksschauspieler Oesterreichs, weitergeben wollte. Der aber starb, ebenso wie die Nächstbedachten Pallenberg und Moissi. Meinrad ist jung, aber auch Basserwann war ein junger, moderner Schauspieler gewesen, als er den Iffland-Ring aus der

Hand Haases erhalten hatte, der nicht an Josef Kainz dachte. Basserwann gab, von abergläubischer Furcht beschlichen, den Ring, dessen Geschichte sich im Dunkel einer unbezeugten Ueberlieferung verliert, ans Wiener Theatermuseuw.

Josef Meinrad, iw Kollegenkreis „Pepi“ genannt, ein Wienerkind, wurde am 21. April 1913 geboren. Er besuchte das Knabensewi-

nar in Katzelsdorf, fühlte sich aber zum Schauspieler berufen, trat in eine Kaufmannslehre ein, nahm abends Schauspielunterricht. Nach zahlreichen Provinzengagewents kam er ans Volkstheater, spielte während des Krieges in Metz, heiratete eine Französin, kehrte nach Kriegsende nach Wien zurück an die „Insel“, von dort an die Burg. Was immer er spielt, Raimund, Nestroy oder Shakespeare, trägt seinen unverwechselbaren Stempel: Bescheidenheit, Klugheit: ein Glanz von innen, Demut vor dem Werk des Dichters. Was das Burgtheater 1916 mit Alexander Girardi verlor, hat es 1950 mit Josef Meinrad wiedergewonnen: den Volksschauspieler.

Nicht einer Meinung sind wir mit jener deutschen Zeitung, die enttäuscht und darum etwas geringschätzig schreibt, ein bißchen Kulissengaudi hafte nun der Ringgeschichte an, aus dem Mythos sei wieder ein Scherz geworden. Dem alle Komplimente Abwinkenden, beflissene Manager Verachtenden, der die letzten Jahre nur von der Burgtheatergage lebte, war die Gabe eigen, mit seinem strahlend hellen Blauauge durch Menschen und Dinge hindurchzusehen. Er kannte die „Neidgenossen“ und schrieb darum folgende Zeilen in sein Testament: Nicht die

Meinung der Collegen ist maßgebend, nicht die öffentliche Meinung, wer den Ring bekommt, nur der jeweilige Träger hat darüber zu verfügen.“ Werner Krauss hat mit seiner letzten, wohldurchdachten Verfügung nicht nur unseren Josef Meinrad geehrt, er gab ein Bekenntnis ab zum Schauspielertuw, zur Burg und zu Oesterreich, die ihm beide zur Heimat geworden waren. f. e.

Zu dieser Haltung gehört sozusagen auch, daß erschreckend häufig der Begriff „Respekt" fehlt. Wir wollen diesen Begriff nicht mit Unterwürfigkeit verwechseln. Er bedeutet Takt und Ehrfurcht vor etwas Höherem, vor dem von Gottes Hand Berührten. Man hat bisweilen das Gefühl, daß die Menschen, würde ein Beethoven heute in ihrem Kreis erscheinen, im Tagesdurchschnittstonfall sagten: „Guten Tag, Herr Beethoven, wie gefällt Ihnen unser neues Kino?“ Bis zum heutigen Tag — wenn ich von mir sprechen darf — habe ich Herzbeklemmung, darf ich mit einem Erwählten unserer Zeit sprechen, und drücke mich verlegen um die gebührende Anrede.

Nun möchte ich noch ein heikles Thema streifen. Es ist dies die begreifliche, aber doch der Auswirkung wegen sehr skeptisch aufzunehmende Sucht nach schnellstens — nicht erworbenem, sondern ohne bemerkenswerte Gegenleistung — erwartetem hohem Lebensstandard, die den Drang und die Triebkraft nach dem Besonderen hemmt. Eine lauwarme Lebenseinstellung und kritisches Unbefriedigtsein ist die Folge. Ich weiß zwar, daß Armut nicht lange zu ertragen ist, aber Wohlstand oder gar Sattsein — sehr identisch mit Stillstand — im ersten Stadium ist hemmend, und nur ganz wenige besitzen dann noch die Energie, produktiv zu sein. Das spätere Wohlergehen ist die Frucht und Belohnung für alle Opfer. Zu Beginn gereichte süße Früchte verderben den Appetit. Aber — und ich schließe -mieli nicht aus — Kritik zu üben, auch wenn sie das Mäntelchen der Weisheit bestenfalls noch so feierlich schwingt, ist unendlich viel leichter, als sich selbst und anderen zu helfen. Doch jedes ehrliche Helfen findet andere ehrliche, helfende Hände. Das Positive ist so ansteckend wie das Negative!

Meinen jungen Freunden, die sich der Kunst zuwenden, wünsche ich: Bewahren Sie sich vorübermächtigem und fanatischem Ehrgeiz! Er ist gleichbedeutend mit Selbstgefälligkeit. Wenden Sie sich nicht in diesem Geist der Musik zu, sondern versuchen Sie, ehrfürchtig und gesittet in ihren Dom zu schreiten. Das Podium darf kein Exerzierplatz gedrillter Vorstellungen sein, sondern ein Altar der Eingebung, um die wir ständig flehen müssen. Denken Sie daran, daß Sie, wie vorhin erwähnt, den Menschen vor allem Ruhe, Erbauung und Träume, die vielleicht nie erfüllt werden, schenken sollen. Vorausstürmen und lautes menschliches und künstlerisches Ausschwärmen ist störend, bedrängend, heilt nicht und gibt keine Geborgenheit.

Notwendig ist der Blick in die Vergangenheit, denn er gibt erst die kritische Bestätigung des Neuen. Dadurch wird man sich vor dem gediegenen Neuen, und nur von dem gediegenen, nicht verschließen. Wohlgemerkt, die Welt hat einen gefährlichen Rhythmus, von dem man sich oft verführt fühlt. Man soll eben das Neue werten und es pflegen wie eine Mutter ihr Jüngstes anfängt zu lenken. Man darf nicht jeder Neuigkeit, nur weil sie etwas anderes verspricht, den höheren Podest zuerkennen.

Meine jungen Freunde! Wir wissen, daß die göttliche Gerechtigkeit das Schlechte von selbst richtet. Wir Menschen1 -können jedoch diesen Prozeß in die Länge ..ziehen oder auch verkürzet), ater doch nie verhindern. Die Begriffe Friede und Güte sollten von allen Menschen aller Rassen aus tiefster Seele ehrlich gemeint werden, und vor allem der zu jedem Extrem neigenden Jugend vorgelebt werden.

Dies wäre ein Lehrstoff, mit dem schon in der untersten Schulklasse begonnen werden müßte…

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