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Die Welt sehen, wie sie sein sollte

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Die Frage, wem Josef Meinrad den Iffland-Ring vermacht hat, wird dieser Tage beantwortet. Der Frage, warum gerade dieser Schauspieler so viele Menschen begeistern und in seinen Bann ziehen konnte, sollte man weiter nachgehen. Denn sie hängt eng mit der Grundfrage zusammen, wie weit wir uns von Kultur menschlich-existentiell berühren lassen und sie nicht nur „konsumieren" wollen. Vorweg: Die Sympathie für einen Schauspieler beruht natürlich zunächst auf seiner unverwechselbaren Individualität, im weiteren aber wohl auch auf Eigenschaften, die man sich im Theater- und Kulturleben öfter wünschen würde.

Werner Krauß sah wegen der „Einfachheit, Schlichtheit und Wahrhaftigkeit" Meinrads diesen als würdigsten Iffland-Bing-Erben an. Denn Josef Meinrad besaß die Fähigkeit, aus jeder Rolle einen echten Menschen aus Fleisch und Blut zu machen, zum Beispiel aus dem Praterstrizzi Liliom in Molnars gleichnamigen Stück einen vom Leben verletzten rauhen Burschen mit butterweichem Kern, aus dem eitlen Pedanten Malvolio in Shakespeares „Was ihr wollt" eine nicht nur Heiterkeit, sondern auch Mitleid erregende Figur.

Fest steht, daß Meinrad in erster Li -nie ein grandioser Volksschauspieler in zutiefst österreichischen Stücken war. Bestimmte Nestroy- und Baimund-Figuren, insbesondere den Weinberl im „Jux" oder den (ihm als Hobbytischler besonders seelenverwandten) Valentin im „Verschwender", hat er geradezu unübertrefflich gestaltet. In genau diesen Bollen habe ich Josef Meinrad zuerst als Kind auf Schallplatten hören und dann als Jugendlicher im Burgtheater erleben dürfen.

Er war aber darüber hinaus in der ganzen Weltliteratur von Sophokles und Moliere bis Ibsen, Pirandello und Dürrenmatt zuhause und brachte keineswegs nur heitere und naive, sondern auch ernste, brüchige, zum Scheitern verurteilte Charaktere glaubhaft auf die Bühne und auf die Leinwand.

Was er im Leben fast geworden wäre, Priester, stellte er oft auf der Bühne („Hadrian VII."), im Film („Der Kardinal") oder im Fernsehen („Pater Brown") dar. Nach Meinrads Auftritten gingen vermutlich mehr Leute mit einem gestärkten Glauben an das Gute im Menschen heim als nach den meisten Predigten. Josef Meinrad strahlte Menschenliebe aus. Und lieben bedeutet, dem Wort eines weisen Menschen zufolge, „den anderen so sehen, wie Gott ihn gemeint hat". Genau das ließ Meinrad spüren, genau das drückt auch ein Satz aus dem Musical „Der Mann von La Mancha" aus: „Ich weiß, ihr haltet mich verrückt, aber ist es nicht besser, die Welt nicht so zu sehen, wie sie ist, sondern so, wie sie sein sollte?"

Mit seiner Leistung in diesem Musical überzeugte Meinrad als Darsteller und Sänger im ganzen deutschen Sprachraum. Der nimmermüde für das Gute kämpfende Don Quijote, den er auch in einer französischen Verfilmung verkörperte, war wahrscheinlich die Rolle seines Lebens. Zumindest alle, die damals angesichts der Sterbeszene weinen mußten, sollten sich keineswegs schämen, auch jetzt, da Josef Meinrad endgültig den Hobel hingelegt hat, einige Tränen zu vergießen.

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