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Das Volkstheater setzt auf pures Schauspielertheater: Virtuos führen Maria Bill und Dieter Mann durch Eugen O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Eine zweistündige Tour de Force.

Thomas Schulte-Michels, der letztes Jahr die erfolgreiche Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“ übernommen hatte, gelingt auch diesmal wieder eine nüchterne Beziehungsstudie, die zugleich paradigmatisch für den klischeehaften Aufstiegsglauben der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft steht.

Schulte-Michels hat sich wieder selbst um die Bühne gekümmert und das Geschehen direkt an die Rampe geholt. Eine bühnenbreite, honiggelbe Sofabank versammelt nicht nur die Familie Tyrone in unterschiedlichen Konstellationen, sondern definiert auch die Perspektive: In der ersten Hälfte, am Morgen nach der Rückkehr der morphiumsüchtigen Mutter Mary, blickt das Publikum über die Rückenlehne des Sofas auf die schräge Bühne. Über eine Art Mauerschau beobachtet der Zuseher in quasi-voyeuristischer Haltung die zaghaften Versuche für einen Neubeginn. Doch die jeweiligen Bemühungen, die eigenen Brüche und Ängste zu vertuschen, führen zu einem fatalen Kreislauf: Jeder beobachtet jeden, jeder spioniert dem anderen hinterdrein. Vater James klammert sich an sein Portemonnaie, das seinen sozialen Aufstieg symbolisiert, und starrt über den Zaun auf die scheinbare Idylle der Nachbarn, Mary schwankt in ihrer Liebe zu Sohn Edmund zwischen Überfürsorge und Ignoranz und James junior ergibt sich dem Alkohol, um schließlich die Manipulationen und Lügen innerhalb der Familie aufzudecken.

Zwänge und Verstrickungen

Günter Franzmeier überzeugt als zynischer Erstgeborener, der in die Fußstapfen seines erfolgreichen Schauspieler-Vaters getreten ist und sich schließlich nie emanzipieren konnte. Ihm gegenüber steht Till Firit, der verhätschelte Zweitgeborene, der wie sein Großvater an Schwindsucht erkrankt ist und sich selbst scheinbar schon aufgegeben hat.

Die Offenlegung der Zwänge und Verstrickungen, die schließlich jeden Neustart unmöglich machen, symbolisiert die Bühne nach der Pause. Die Perspektive des Zuschauers wird um 180 Grad gedreht, die Sofabank öffnet sich als Halbkreis nach vorne. Der Tag „der Prüfung“ ist nicht nur vorüber, sondern die Chance verloren. Mary hat längst wieder Morphium genommen, um ihre Rheumaschmerzen zu betäuben, wie sie vortäuscht, James jr. ist sternhagelvoll und Edmund – ebenfalls bereits illuminiert – versucht, Vater James zu überzeugen, dass dieser ihm ein geeignetes Sanatorium bezahlt. Der Whiskey vor dem Mittag- und Abendessen wird gemeinschaftlich zum appetitanregenden Apéritif erklärt, um über die reale Sucht hinwegzutäuschen. Doch wozu trocken werden in diesem Klima der Vereinzelung und Selbstsucht?

Eugene O’Neill erzählt hier seine eigene Geschichte, in der er die Rolle des jüngsten Sohnes innehatte. 1888 wurde er als Sohn eines fahrenden Schauspielers in eine Familie hineingeboren, die bereits zerrüttet und durch den frühen Tod des Bruders Edmund nur noch Schein war.

Zwischen Erinnerung und Akzeptanz

Schulte-Michels findet für seine Interpretation von Beginn an einen schnellen Rhythmus, der den Kreislauf zwischen Vertuschung und systematischem Abbröckeln der Fassade bis zur letzten Szene spannend hält. Maria Bill ist darin keine ätherisch-abgehobene Morphinistin, sondern eine nervös-aufgekratzte, konservative Frau, die die Balance zwischen Erinnerung an noch hoffnungsvolle Zeiten und Akzeptanz der Wirklichkeit vergeblich sucht. Am Ende huscht sie davon, in eine eigene Welt, völlig entfernt von ihrem Mann und ihren Söhnen, in die Ganzheit der Musik.

Bill zeigt, was es bedeutet, diese eitle Exzentrikerin völlig uneitel und unprätentiös darzustellen und erntet dafür verdientermaßen eine Menge Bravos. Aber auch Dieter Mann, ehemaliger Star am Deutschen Theater, spielt frei von Schnörkeln diesen gealterten Schauspieler, der sich immer noch für den Nabel Welt hält.

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