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Migration und Menschenhandel dokumentiert eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien.

Menschen, die sich schwimmend ans Ufer zu retten versuchen. Menschen, die in Lastwägen beim illegalen Schmuggel über die Grenze ersticken, verhungern oder erfrieren. Menschen, die in Zelten auf engstem Raum hausen, in der Hoffnung auf eine neue Heimat. Alles Bilder, die aus den Medien bekannt sind. Denn illegale Migration, gekoppelt mit Menschenschmuggel und Menschenhandel, ist eines der gravierendsten Probleme, mit denen sich Europa derzeit konfrontiert sieht. Über 30 internationale Foren haben in den letzten Jahren versucht, die Migrationsfrage mit all ihren Auswirkungen zu beleuchten. Dabei wurden ganz unterschiedliche Aspekte diskutiert: politische, ökonomische, humanitär-rechtliche, sprachlich-kulturelle und menschlich-persönliche.

Menschenhandel

Die Öffentlichkeit wird stets anhand von konkreten Fällen mit illegaler Migration konfrontiert. Zeit für eine grundsätzliche Hinterfragung der Problematik bleibt keine. In der Kunst sieht dies ganz anders aus. Hier kann losgelöst vom tagespolitischen Geschehen die Frage nach dem "Warum" gestellt werden. Dass sich die zeitgenössische Kunst solch brisanten Themen auch tatsächlich stellt, ist spätestens seit der letzten Documenta deutlich geworden.

Anlässlich des diesjährigen OSZE-Vorsitzes der Niederlande zeigt die Kunsthalle Wien nun in Kooperation mit dem Niederländischen Fotoinstitut eine Ausstellung unter dem Titel "Crossing the Line", die sich diesem Themenkomplex widmet. Alle eingeladenen Künstler bedienen sich dabei der Medien Fotografie und Video und einer Art dokumentarischer Sichtweise. Die gewählten Blickwinkel und künstlerischen Umsetzungen sind dennoch ganz unterschiedlich. So stellt Piet den Blanken in kontrastreichen Schwarzweiß-Fotografien die Menschen ins Zentrum seiner Bilder. Er zeigt Situationen, die normalerweise von den jeweiligen Regierungen lieber ausgeblendet werden: Illegale Einwanderer in Gefängniszellen, während der Verhaftung bei der versuchten Einreise oder beim Übernachten im Freien.

Wohnen auf der Flucht

Ganz anders sehen die Farbfotos von Jacqueline Salmon aus: Hier werden die Menschen bewusst ausgespart. In der Fotoserie "Le Hangar" lenkt Salmon den Blick der Besucher auf die "architektonische" Situation von Flüchtlingen. Was wir zu sehen bekommen, sind menschenleere, verschlossene Zelte und verlassene Notbetten in Lagerhallen. Die "Schauplätze ohne Akteure" sind gerade aufgrund ihrer Menschenleere berührend.

Festnahme und Deportation

Eine dritte Art der Darstellung findet man in der erzählerisch ausgerichteten Video-Installation der belgischen Künstlerin Chantal Akerman. Auf 18 Monitoren werden verschiedene Phasen des Menschenschmuggels über die mexikanisch-amerikanische Grenze in einem gleichzeitigen Nebeneinander aufgezeigt. So erfährt man auf einem Bildschirm etwas über die Herkunft und Motive der Migrationswilligen, auf einem anderen sieht man, wie die Reise meist endet: mit der Festnahme und Deportation durch die Grenzpatrouille.

Voyeuristischer Blick?

Die Schau ist nicht nur deshalb interessant, weil sie zeigt, dass und wie Gegenwartskunst sich gesellschaftlich relevanter Themen annimmt. Sie macht auch deutlich, wie heikel dies sein kann. Denn immer bleibt die Frage, ob nicht durch die künstlerische Umsetzung eine Ästhetisierung des tatsächlichen Leides stattfindet. Künstler wie Betrachter müssen sich mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, sie bedienen sich eines voyeuristischen Blicks. Denn: Können Künstler, die selbst keine Migranten sind, überhaupt eine derartige Problematik adäquat darstellen? Und außerdem: Delektieren wir uns als Ausstellungsbesucher nicht auch ein wenig an den Gestrandeten - wie sie etwa Ad van Denderen in einer hyperästhetischen Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt? Einer solchen Problematik der Ästhetisierung durch das "schöne Bild" entgehen Arbeiten wie Akermans mehrteilige Video-Installation.

Ästhetisierung des Leids?

Aber auch Foto-Text-Kombinationen, wie sie uns Ingrid Simon mit "Present Continuous" in der Kunsthalle präsentiert, entkommen der "Ästhetisierungsfalle". Fotos von Landschaftsbildern mit einzelnen Kleidungsstücken, die Migranten bei der Flucht verloren haben, koppelt Simon mit Textsplittern aus Englischsprachbüchern. Durch die Gegenüberstellung von Texten, die ironisch auf einen englischsprachigen Neubeginn in der westlichen Welt anspielen, und den Fotos mit Spuren der Flucht schafft Simon für den Betrachter eine Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten. Eine zu eindeutige, womöglich mitleidserweckende Lesart, unterbleibt.

Auch wenn die künstlerische Umsetzung eines so brisanten Themas wie Migration nicht immer unproblematisch ist, allein die Tatsache, dass eine Ausstellung zu derart grundsätzlichen Fragen über das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit anregt, ist mehr, als man von künstlerischen Äußerungen überhaupt erwarten kann.

Crossing the Line.

Human trafficking

Kunsthalle Wien, project space karlsplatz, Treitlstraße 2, 1040 Wien,

Bis 20. Juli täglich 13-19 Uhr

Information: www.KUNSTHALLEwien.at.

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