Es geht um die eigene Handschrift: "arm & reich" im Dom Museum Wien
Mit der neuen Ausstellung über Armut und Reichtum lädt das Dom Museum Wien zu einer Auseinandersetzung mit Ambivalenzen und Widersprüchen.
Mit der neuen Ausstellung über Armut und Reichtum lädt das Dom Museum Wien zu einer Auseinandersetzung mit Ambivalenzen und Widersprüchen.
An einem kalten Februartag des Jahres 1983 steht am Cooper Square mitten in Manhattan ein Mann und verkauft Schneebälle, schön nach Größe geordnet wie sonst Obst und Gemüse. Nicht der Anblick des Straßenverkäufers irritiert, denn man hat sich an arme Menschen zu Füßen der Wolkenkratzer doch längst gewöhnt. Irritierend ist, was hier verkauft wird: Schnee, der in der warmen Wohnung zu Wasser werden wird. Ja, buchstäblich wird das Erworbene durch die Finger rinnen.
David Hammons hat mit seinem „Bliz-aard Ball Sale“ nicht nur die Passanten damals zu Diskussionen angeregt, die Fotografien seiner Aktion von Dawoud Bey tun es noch heute. Um Diskussionen geht es auch dem Dom Museum Wien in seiner neuen Jahresausstellung „arm & reich“, mit Blick auf Menschen, Emotionen, Strukturen – und auf die Rolle von Kirche und Kunst.
Spannungsfeld
Wofür das nach einer umfassenden Neugestaltung 2017 wiedereröffnete Museum bereits bekannt ist – und zurecht schon ausgezeichnet wurde –, ist das Aufgreifen gesellschaftspolitisch brisanter Themen, das Ineinander von Vergangenheit und Gegenwart, heimischer und internationaler, „profaner“ und sakraler Kunst. Mit dem Thema „arm & reich“ begibt man sich in ein weiteres Spannungsfeld voller Ambivalenzen, in dem sich sowohl die Institution der Kirche als auch jene der Kunst befindet.
So steht die Kirche mit ihren Reichtümern von goldgeschmückten Altären bis hin zu großflächigem Landbesitz auf Seite des Geldes, hat allerdings ihrerseits mit Werken der Barmherzigkeit und engagierter sozialer Arbeit auch andere wirkmächtige Spuren hinterlassen. Doch wer mildtätig ist, hat oft auch die Macht dazu. Dies zeigt sich etwa in den Darstellungen des Heiligen Martin, der sich in der hier präsentierten ungewöhnlichen Fassung von 1502 zwischen zwei Bedürftigen entscheiden muss: einem würdigen (weil arbeitsunfähig und ortsansässig) und einem unwürdigen (weil fremd). Die Darstellung der Mildtätigkeit macht also zugleich Formen der Ausgrenzung sichtbar, die lange prägend bleiben.
So steht die Kunst zwar dafür, den Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen, die Ungerechtigkeiten in der Welt – und womit sie zusammenhängen – provokant zu zeigen, andererseits verhandelt gerade der Kunstmarkt manche Werke zu schwindelerregenden Preisen, während andere Künstlerinnen und Künstler in prekären Verhältnissen leben – wie Straßenverkäufer, die Schneebälle verkaufen. Und noch einmal andererseits ermöglicht gerade die Kunst oft Menschen aus prekären Verhältnissen Formen von Selbstermächtigung, wie das erfolgreiche Beispiel des brasilianischen „Projeto Morrinho“ zeigt, das begann, indem junge Brasilianer ihre Lebenswelt aus in der Favela gefundenen Materialien bauten und spielten.
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