6707158-1964_05_02.jpg
Digital In Arbeit

Der Geist, nicht die Bronze!

Werbung
Werbung
Werbung

Moderne Denkmäler für große, verdiente Staatsmänner haben etwas Problematisches: vielfach geht man bei der künstlerischen Ausführung den Weg, auf dem man mit ziemlicher Sicherheit den geringsten emotionellen Widerstand beim „kleinen Mann“ und der ^breiten Masse“ zu erwarten hat und entschließt sich für einen provinziellen Kräwattenknotenrealismus und eine papahaft gemütliche Attitüde des Dargestellten. Jeder Zoll ein bronzener Volksmann. Zwei große alte Männer der österreichischen Zeitgeschichte, Seitz und Körner, wurden ja bereits für die Ringstraße panoptiziert. Man hätte ihnen post mortem wahrscheinlich Würdigeres gewünscht. (Gehet hin, ihr Denk-malproponenten, und seht euch einmal zur Anregung die Denksäule an, die man bereits in den dreißiger Jahren für Otto Wagner errichtete! Sie steht, freilich nicht ganz glücklich placiert, an einer Ecke der Akademie der bildenden Künste.)

Nun wird ein Denkmal für Leopold Kunschak erwogen. Ehe man aber definitive Beschlüsse faßt und wieder einen Auftrag für ein Standbild vergibt, sollte man sich wohl fragen: Wäre dem Andenken des bedeutenden christlichen Arbeiterführers durch die Aufstellung einer ■In Bronze und ins Dreidimensionale übertragenen Photographie gedient? Kunschak, dem neben vielen anderen Tugenden auch die große persönliche Einfachheit eignete, würde einen derartigen Gedanken vielleicht sogar auf gut Wienerisch als „Pflanz“ bezeichnet haben. Wir sind der Meinung, daß etwa eine „Leopold-Kunschak-Stiftung“, die der Erforschung des christlichen und sozialen Erbes wieder Ansporn gäbe, es zur lebendigen Verpflichtung machen könnte, seinem Geist und seinem Wesen weitaus gemäßer wäre und auch sein Andenken sinnvoller würdigte als eine Statue, an der Zeitgenossen und Nachgeborene achtlos vorübereilen.

Ein Gedanke, den wohl jeder Österreicher, ganz gleich welcher Weltanschauung, gutheißen kann, wurde jetzt, kurze Zeit nach dem Tod des Altbundeskanzlers zur Diskussion gestellt: der Stubenring soll in Julius-Raab-Ring umbenannt werden. Abgesehen davon, daß heute die wenigsten Wiener wissen, daß dieser Teil der Ringstraße in Erinnerung an die alten Badstuben seine Bezeichnung erhielt, ergäbe sich in diesem Fall eine sinnvolle Bezogenheit: auf dem Stubenring, in der Bundeswirtschaftskammer, hatte Julius Raab seinen letzten Amtssitz. Lueger-Ring, Dr.-Karl-Renner-Ring und Julius-Raab-Ring: im Verlauf einer Straße eine Trias von Namen, die jeden, der seinen Weg über die Ringstraße nimmt, zum Gedenken und zum Nachdenken anregen soll...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung