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Liquidierung der Volksgerichte

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Vor kurzem hatte der Minister für Justiz eröffnet, daß beabsichtigt sei, die Volksgerichte ehestens abzuschaffen. Diese Kundgebung hat in weitesten Kreisen Widerhall gefunden, nicht zuletzt auch in Juristenkreisen. Es soll damit der Schlußstrich gezogen werden, der im großen und ganzen eine Epoche beschließt, die besser der Vergangenheit angehört. Nicht mit gleichem Maß wurde gemessen, sondern mit höchster verzeihender Gerechtigkeit und ethischem Ernst. Die Gewalttaten, Grausamkeiten und entmenschten Handlungen, die in vielen Prozessen auflebten, können kaum menschliche Sühne finden; denn Schrecken’ kann nicht mit Schrecken und Haß nicht mit Haß ausgelöscht werden. Die Volksgerichte Österreichs haben die an sie gestellten Aufgaben mit größter Verantwortung treu ihrer richterlichen Tradition in vorbildlicher Weise gelöst; dies allerdings unter größter Aufopferung und höchster Pflichterfüllung, zumal oft nur unter schwierigsten Umständen die gestellten Aufgaben gemeistert werden konnten. Es war eine Leistung, die in der Justizgeschichte einzig dasteht.

Nach den amtlichen Feststellungen waren bei den Volksgerichten bis zum 30. September 1948 anhängig: 119.088 Verfahren. Davon wurden 51.843 durch Einstellung erledigt.

Anklagen wurden 20.193 erhoben, davon wurden bereits 15.328 Urteile gefällt, darunter 9806 Schuldsprüche, zu Freiheitsstrafen wurden 9/63 Personen verurteilt, 5523 freigesprochen.

Anhängig verblieben 20.993 Vorerhebungen und Voruntersuchungen. Immerhin noch eine ziemlich ansehnliche Anzahl. Man kann über Volksgerichte verschiedener Ansicht sein. Eines ist richtig, daß die österreichischen Volksgerichte sich wie höchste Gerichtshöfe bewährt haben, nicht nur in ihrer humanen Führung, sondern auch in ihrer treffsicheren Jurisprudenz, obwohl sie vielfach der hohen Weisheit des Obersten Gerichtshofes entbehren mußten, da dieser nur in seltenen Fällen im Überprüfungsverfahren seine Rechtsmeinung in ausführlicher Weise zum Ausdruck bringen konnte.

Ob aber tatsächlich mit Ende dieses Jahres oder anfangs des nächsten Jahres schon der Schlußstrich gezogen werden kann, wird noch nicht mit Sicherheit behauptet werden können, solange noch die einschneidenden strafrechtlichen Bestimmungen des § 8 und §11 VG 1947 bestehen:

8 VG: Wer die Anmeldung unterläßt oder über wesentliche Umstände unvollständige oder unrichtige Angaben macht oder etwas unternimmt, um die Aufnahme eines Registrierungspflichtigen in die Liste oder die Vornahme eines Vermerkes zu vereiteln oder die Aufnahme eines Nichtregistrierten oder eines unrichtigen Vermerks zu erwirken, macht sich des Verbrechens des Betruges schuldig und ist hie- für mit Kerker von einem bis zu fünf Jahren zu bestrafen. § 11 VG: Ist eine der im § 10, Abs. 1, genannten Personen politischer Leiter vom Ortsgruppenleiter oder Gleichgestellten aufwärts gewesen oder hat sie einem der Wehrverbände oder.

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