Hofarchitektur eines Demokraten

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Gottfried Semper, Hofopernarchitekt in Dresden und wesentlich an der Wiener Ringstraßenarchitektur beteiligt, ist zum 200. Geburtstag eine Ausstellung in München gewidmet.

Soll unsere Kunst den wahren Ausdruck unserer Zeit tragen, ... so muss sie den notwendigen Zusammenhang der Gegenwart mit allen Jahrhunderten der Vergangenheit ... zu ahnen geben", schrieb Gottfried Semper 1845 in einer Schrift über den Neubau der Nikolaikirche in seiner Vaterstadt Hamburg, wo er 1803 geboren wurde. Als Architekt hochangesehen, bekannt als Denker und Theoretiker, ist sein Name Inbegriff des Hoftheaters, der Semper-Oper in Dresden.

Anlässlich seines 200. Geburtstages haben das Architekturmuseum der Technischen Universität München und das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich nicht nur über Jahre geforscht, sondern auch mit einer ausgezeichneten Retrospektive und einem umfangreichen Begleitband ein Fenster für eine breitere Öffentlichkeit geöffnet. Die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München bietet vielfältige Einblicke in das architektonische "Weltbild" Gottfried Sempers, in die Fülle seiner Schriften, Bauten, Entwürfe, Zeichnungen und Skizzen und folgt den Lebens- und Schaffensphasen eines rastlos Tätigen, freiheitsliebenden und außerordentlich gebildeten Mannes.

Am Anfang stehen die Namen jener vier Männer, die das Fundament gelegt haben zu Sempers universalem Verständnis von Kunst, Architektur und Naturwissenschaft, seiner Neigung zum Entwurf kulturhistorischer Zusammenhänge. In Göttingen, wo Semper 1823 sein Studium der Mathematik und Geschichte beginnt, sind es der Archäologe Karl Otfried Müller und der Mathematiker Bernhard Friedrich Thibaut; dieser befähigte den begabten Studenten zu späteren Studien über antike Schleudergeschosse.

Architektur "bekleiden"

Mit dem Wechsel nach Paris 1826 werden sein Architekturlehrer Franz Christian Gau sowie der Naturforscher Georges Cuvier Richtung weisend für seine weitere Laufbahn. Die systematische Ordnung Cuviers übernimmt Semper auf der Suche nach den "Urmotiven", den Anfängen in der Architektur, die er 1851 in "Die vier Elemente der Baukunst" publiziert: die Feuerstelle als Zentrum der Gemeinschaft, die Wand als Abgrenzung mit Matten oder Teppichen, das Dach als Schutz von oben, die Erdaufschüttung zum Schutz von unten. Von diesen Elementen leitet Semper später die vier "Urtechniken" (Töpfern, Weben, Holz- und Steinbearbeitung) ab; den Aspekt des Webens, des Strukturierens der Wand übertrug er auch auf seine Bauten. Die vielzitierte "Bekleidungs-Theorie", das "Schmücken" war ein Aspekt seiner Vorstellung von Architektur, wirksam bis Adolf Loos und Otto Wagner.

Der republikanisch gesinnte Gau mag Semper in seiner politisch demokratischen Haltung bestärkt haben. Eindrücke der Revolte in Paris Juli 1830, vor allem aber die Beteiligung an den Barrikadenkämpfen 1849 gemeinsam mit Richard Wagner, die ihn als steckbrieflich gesuchten "Haupt- rädelsführer" zu Flucht und Exil nach Paris und London zwang, waren sicher prägend für seine Lebensphilosophie. Höchster Ausdruck seiner "Befreiungsgedanken" wurde das als antiker Tempel nachempfundene Stadthaus in Winterthur (1863), das er selbst als direkte Form der Demokratie besonders schätzte.

Semper besaß fundierte Kenntnisse vor allem antiker Bauten, die er während einer fast vierjährigen Reisezeit durch Griechenland und Italien eingehend studiert hatte. Mit den "Vorläufigen Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten" (1834) beteiligte sich Semper am heftig geführten Gelehrtenstreit um die Farbigkeit antiker Denkmäler, dies in einer Zeit, als die Archäologie sich loszulösen begann von Winckelmanns Sicht hin zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin. Aus dieser Position heraus gelang Semper mit Unterstützung seines Lehrers Gaus der Sprung an die Kunstakademie in Dresden, gegen Neid und Häme, denn Semper hatte bis dahin noch nichts gebaut. Dresden wird sein triumphaler Auftakt, seine glückvollste Zeit werden: als Lehrer, Gutachter und hochangesehener Architekt der Gesamtplanungen rund um den barocken Zwinger, der Gemäldegalerie, des Ersten Hoftheaters, des Zweiten nach dem Brand von 1869, der Villa Rosa.

Gebaute Gesamtkunstwerke

Nach den Jahren im Exil, ohne Bauaufträge, aber intensiv an Entwürfen und Schriften arbeitend, beginnt für Semper 1855 mit dem Ruf an die Bauschule nach Zürich ein neuer schöpferischer Lebensabschnitt. Die künstlerische Ausstattung am Neubau des Polytechnikums zeigt programmatisch die von ihm vertretene Einheit von Kunst und Wissenschaft. In der zweibändigen Publikation "Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik" (1860 und 1863) erläutert Semper die Techniken und ihr Verhältnis zur Baukunst.

Zu Sempers großen nicht oder nur teilweise ausgeführten Projekten gehören das Richard-Wagner-Festspielhaus in München (1864), eine Lieblingsidee König Ludwigs II., das ein Gesamtkunstwerk werden sollte, hoch über der Isar gelegen, gescheitert letztlich an Wagners Liaison mit Cosima von Bülow. Und während in Dresden der Neubau zum Zweiten Hoftheater entsteht, gibt Semper 1871 die Existenz in Zürich auf, herausgefordert von der Idee zu einem Kaiserforum im Zuge der Ringstraßenbebauung in Wien. Von Kaiser Franz Joseph beauftragt, entwirft Semper die repräsentative Anlage einer Neuen Hofburg, der die seitlich geschwungenen Flügel mit Verbindung zum Hoftheater im Westen und die angeschlossenen Museumsbauten mit Achse zum Ring hin untergeordnet bleiben sollten. Semper hat sich in Anlehnung an die römischen Kaiserforen dem Auftrag gemäß an seinen Grundsatz von Form und Bedeutung der Architektur gehalten und das Ensemble der Bauten zu ungewöhnlicher Monumentalität gesteigert. Gescheitert an den Intrigen seines Wiener Kollegen Carl Hasenauer, konnte er die Planungen für das nun an anderer Stelle geplante Burgtheater (1872-1888) noch entscheidend beeinflussen, verließ Wien jedoch 1875. Er starb 1879 in Rom.

Während der Architekt Semper gegen den vorherrschenden Klassizismus das Formengut der italienischen Renaissance einführt und seine Projekte stets auf "Symmetrie, Proportion und Richtung" hin konzipiert, geht es dem Theoretiker um ein Ausschöpfen allen verfügbaren Wissens, um ein tieferes historisches und gesellschafts- kritisches Verständnis. "Eine freie Kunst in einer freien Gesellschaft" war Sempers Maxime.

Gottfried Semper (1803-1879)

Architektur und Wissenschaft

Bis 31. August in der Pinakothek der Moderne in München

Tel 0049/89/238050

www.pinakothek-der-moderne.de

Von 1. 11. 2003 bis 25. 1. 2004 im Museum für Gestaltung in Zürich

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