"Ich bin Watson, ihr Einkaufswagen"

Werbung
Werbung
Werbung

Die Schlange an der Kassa, quengelnde Kinder und überfordertes Personal: All das soll in naher Zukunft der Vergangenheit angehören. Auf wundersame Weise versenkt die neue "Billa"-Filiale in der Purkersdorfer Linzerstraße 35-37 ihre Kunden in entspannte Urlaubsstimmung. Ein großer Parkplatz vor dem Gebäude mit Glasfassade am Eingang und eleganter Holzverschalung im Dachbereich lässt selbst Großfamilien jede Menge erstandener Güter problemlos im Kofferraum verstauen. Sogar die Autobushaltestelle ist in moderater Gehdistanz.

Das grellgelbe beleuchtete riesige Billa-Sackerl dreht sich Tag und Nacht: Hier befindet sich das neue Mekka für Freunde erlesener Lebensmittel. Eine Notration an Grundnahrungsmitteln, Getränken und Süßigkeiten ist im 24- Stunden-Shop-Automaten vor dem Geschäft immer zu erstehen. Die Bedienung ist denkbar einfach: Nummer des gewünschten Produkts eingeben, schon greift sich ein elektronischer Arm das Lebensmittel, das gemeinsam mit dem Retourgeld in den Schlitz unterm Automaten fällt. Viel mehr action und Auswahl gibt's aber während der regulären Geschäftszeiten im Einkaufstempel selbst.

Unter dem Dachvorsprung regengeschützt, noch vor dem Geschäft (die Analogie zu Sakralbauten mit ihrem Vorbereich zur Versammlung der Gläubigen fällt auf) stehen Einkaufswagen in Reih und Glied Spalier. Der Stau im Inneren soll damit vermieden werden. Schlangen bilden sich momentan trotzdem: vor der Säule, in der die Selfscanner stecken, üben sich lernwillige Kunden in britischer Disziplin. Wer die Wartezeit überbrücken will, kann sich Pizza oder Würstel kaufen, im Internet surfen, eine Reise buchen oder an der Konsole Computergames spielen.

"Self scanning" Martin Fabich, ein charmanter Angestellter mit entfernter Ähnlichkeit zu Alfred Dorfer, blondem Lockenkopf, blauen Augen, roter Kravatte und dem Sticker "self scanning" an der weißen Hemdtasche, zeigt geduldig, wie's geht. Das System ist ziemlich narrensicher, wer einen Scanner möchte, bekommt gleich eine Kundenkarte mit Nummer und elektronisch aufladbarer Geldbörse. Fünf Prozent Scanning Bonus gibt's außerdem. Wer die Karte nach dem Einkauf nicht wegwirft, kann den mitgegebenen Zettel unterschreiben und in jeder Billa Filiale bargeldlos konsumieren. Damit werden auch alle Einkäufe elektronisch gespeichert, Vorlieben und Einkaufsgewohnheiten jedes Kunden ablesbar.

Kindern macht das Scannen Riesenspaß. Bewaffnet mit dem futuristisch aussehenden Gerät, lassen sie den Laserstrahl mit Begeisterung über die Strichcodes von allem gleiten, das ihnen gefällt.

Über 10.000 Produkte finden sich auf 850 Quadratmeter Verkaufsfläche so präsentiert, dass man selbst mit einer strikten Einkaufsliste außerordentlich asketisch gesinnt sein muss, um nicht die feinsäuberlich getrennten Käse- oder Wurstsorten, Meeresfrüchte und andere Delikatessen zur rechten zu mustern. Gegenüber locken Frischbrotsorten ...

Beim reichen Kaffeesortiment befindet sich ein Automat, der um fünf Schilling mehrere Varianten zwischen kleinem Schwarzen und Cappuccino im Plastikbecher für den Kunden braut. Außerdem blinken alle Sonderangebote an den Regalen. Weniger subtil weist das Einkaufsgefährt auf Preisnachlässe hin. Wahlweise mit männlicher oder weiblicher Stimme. "Hallo, ich bin Watson, der sprechende Einkaufswagen", begrüßt die maskuline Spielart mit leicht deutschem Akzent den Kunden. Zwei Adoleszente hören die Stimme offensichtlich gern: Begeistert fahren sie die Sonderangebote an, damit sie erklingt. Ein Sensor an der Decke über dem Regal steuert das Band, von dem der Text kommt.

Über Obst, Gemüse, Tiefkühlkost wiegen sich Sonnenblumen hin und her, Vogelgezwitscher und sanfte Musik erfüllen den Raum, die Gänge zwischen den Regalen sind auffallend breit, je tiefer die Kunden in die Eingeweide des Geschäftes vordringen, umso mehr verlangsamt sich ihr Schritt.

"Darf ich Sie bitten, Ihre Waren bei der Kassiererin verrechnen zu lassen?" weist die Self-Scan-Dame im Zahlbereich eine Kundin, die gescannt hat, zur Kassa. Es kommt zu Verzögerungen, kein Mensch regt sich auf. "Es ist zu Ihrer Sicherheit, damit Sie wissen, ob Sie alles richtig gemacht haben. Um unser System zu testen, überprüfen wir jeden 16. Self-scan Kunden."

Arbeitsplätze würden nicht eingespart, versichert ein leitender Angestellter, der seinen Namen nicht nannte, sondern geschaffen: 95 Hilfskräfte seien eigens aufs Scanning eingeschult worden. Mit drei besetzten Kassen kommt das große Geschäft aus, Staus bilden sich trotzdem kaum. Die Kundin ist stolz, das Ergebnis der Kassiererin stimmt mit dem Resultat auf dem Scanner überein. Sie heischt nach Lob. "Ich kann nichts überprüfen", erwidert die Angestellte freundlich. "Das wissen nur Sie und der Computer". Die Kundenkarte weiß es auch. Big brother is watching you.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung