Kleine Preise für grosses Kino

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Quentin Tarantinos Jury zeichnete in Venedig mit #Somewhere# den neuen Film seiner Ex-Freundin Sofia Coppola aus. Warum die Entscheidung zur unglamourösen Filmpalast-Baustelle passt und andere Filme mehr Wucht haben.

#Die Entscheidung der Jury fiel einstimmig#, betonte Quentin Tarantino. Bei der Preisverleihung am Lido hatte die Jury unter seinem Vorsitz Sofia Coppola mit dem Goldenen Löwen bedacht. Coppola war einst mit Tarantino liiert, weshalb der US-Regisseur jeden Anflug eines Verdachts von Günstlingswirtschaft sofort ersticken wollte.

Noch dazu, weil Coppolas Film #Somewhere# alles andere als das qualitativ hochwertigste Werk dieser 67. Filmfestspiele von Venedig gewesen war. Da zeigten andere Filme viel mehr kinematografische Kraft: Etwa der russische Beitrag #Silent Souls# (Beste Kamera), ein bildgewaltiges, aber stilles Roadmovie um zwei Männer, die die Ehefrau des einen quer durch Russland führen, um sie zu bestatten. Oder #Attenberg# aus Griechenland, in dem eine junge Frau (Beste Darstellerin: Ariane Labed) mit 23 das erste Mal Sex hat und ihren Körper entdeckt.

Zynische Komödie

Selbst #Potiche# von François Ozon, eine rasant-zynische Komödie, die wie ein Werbespot aus den 70er Jahren inszeniert ist, entfaltet mehr dramatische Wucht als Coppolas Siegerfilm. Catherine Deneuve steigt hier von der possierlichen Hausfrau zur Chefin einer Schirmfabrik und schließlich zur Politikerin auf: #Potiche# verhandelt nichts weniger als die Emanzipation der Frau. Die spielerische Leichtigkeit dieses Films wiegt schwerer als die allzu oft dramatisch erhobenen Zeigefinger anderer Filme zur gleichen Thematik.

Sofia Coppolas #Somewhere# dagegen ist eigentlich kein Spielfilm, sondern eine Zustandsbeschreibung. Der fiktive Hollywood-Star Johnny Marco (Stephen Dorff) betäubt sein Bewusstsein abseits des Rampenlichts mit unzähligen Affären und viel Alkohol. Erst seine kleine Tochter (Elle Fanning) zeigt ihm: Müde Augen glitzern nicht. Coppola legt viel Schwermut in diesen Film, verweigert dem Publikum aber jede Intimität und Identifikationsmöglichkeit mit der Hauptfigur. Ein schöner Film, aber einer ohne Kraft.

Sprachloser Actionfilm

Umso kraftvoller die Bilder des Polen Jerzy Skolimowski. #Essential Killing# zeigt einen Mann (Vincent Gallo) auf der Flucht: Der Afghane flieht vor dem US-Militär und muss sich in 80 dialoglosen Minuten durch eine tief verschneite Landschaft quälen. Ein beklemmender Überlebenskampf, der auf jegliche Effekte des Actiongenres verzichtet; der vielleicht ruhigste Actionfilm aller Zeiten. Skolimowski erhielt den Spezialpreis der Jury und Vincent Gallo den Darstellerpreis.

Gallo, dieses Enfant terrible des US-Independentkinos (#The Brown Bunny#), kam erst gar nicht zur Preisvergabe und setzte damit sein Versteckspiel am Lido fort, das nach seiner eigenen Regiearbeit #Promises Written in Water# begonnen hatte. Eine schwarzweiße Szenensammlung aus dem Leben eines Leichenwagenfahrers, untermalt von sinnfreien, perpetuierten Dialogen, die von Gallo eingesprochen werden, als würde er sie bloß für die Kamera üben. Gallo verweigerte jeden Kommentar zum Film und sagte sogar die Pressekonferenz ab.

Mitteilungsfreudiger der Film #Balada triste de trompeta# des Spaniers Alex de la Iglesia (Regie- und Drehbuchpreis): eine grotesk überdrehte, knallbunte Erzählung über Javier, einen traurigen Clown während der Franco-Zeit. Spektakel-Kino mit Tiefgang.

Staub am Goldenen Löwen

Auf die Spektakel aus Asien (Martial-Arts-Filme wie #Detective Dee# oder #13 Assassins#) reagierte der sonst so trash-verliebte Tarantino zum Glück nicht; dafür haben er und seine Jury vor der unglamourösen Kulisse einer chaotisch-italienischen Riesenbaustelle (am Lido wird ein neuer Festivalpalast errichtet) ebenso unglamouröse Filme ausgezeichnet. Zwischen Baggern, Staub und Schutt haben es sogar Hollywood-Stars schwer, zu glitzern. So gesehen ist der Goldene Löwe für #Somewhere# passend, denn eines zeigt dieser Film eindrucksvoll: Hinter all dem Hollywood-Glamour stecken meist sehr traurige Existenzen.

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