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Schopenhauer über den Mond

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Warum wirkt der Anblick des Vollmondes so wohltätig, beruhigend? Weil der Mond ein Gegenstand der Anschauung, aber nie des Wollens ist:

„Die Sterne, die begehrt man nicht,

Man freut sich ihrer Pracht.”

G.

Ferner ist er erhaben, d. h. stimmt uns erhaben, weil er, ohne alle Beziehung auf uns, dem irdischen Treiben ewig fremd, dahinzieht, und alles sieht, aber an nichts Anteil nimmt. Bei seinem Anblick schwindet daher der Wille, mit seiner steten Not, aus dem Bewußtsein, und läßt es als ein rein erkennendes zurück. Vielleicht mischt sich auch noch ein Gefühl bei, daß wir diesen Anblick mit Millionen teilen, deren individuelle Verschiedenheit darin erlischt, so daß der Mond leuchtet, ohne zu wärmen; worin gewiß der Grund liegt, daß man ihn keusch genannt und mit der Diana identifiziert hat. — Infolge dieses ganzen wohltätigen Eindruckes auf unser Gemüt wird der Mond allmählich der Freund unseres Busens, was hingegen die Sonne nie wird, welcher, wie einem überschwenglichen Wohltäter, wir gar nicht ins Gesicht zu sehen vermögen.

1819 erschien die erste Auflage von Schopenhauers Hauptwerk „Die Welt als Will e und Vorstellung”, 1859 die endgültig Fassung. An dieses Jubiläum soll die oben abgedruckte Betrachtung erinnern. Die Gefühle, die der Leser haben mag, können wohl nicht anders als „ambivalent” bezeichnet werden: Wie recht hatte Schopenhauer, wie gültig ist die Grundkonzeption seines Werkes — aus dem übrigens Reinhold Schneider 1956 eine populäre Auswahl für den S.-Fischer-Verlag zusammengestellt hat. Und wie sehr ist das Beispiel, das Schopenhauer zur Exemplifizierung seiner Weltanschauung wählte, durch die Technik unserer Tage „liquidiert” worden.

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