Lord Mountbattens Drachensaat

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Das Airbus-Drama von Kandahar erinnert an die tödlichen Schnitzer, die England und sein letzter Vizekönig Lord Louis Mountbatten 1947 in Indien beging.

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Das Airbus-Drama von Kandahar erinnert an die tödlichen Schnitzer, die England und sein letzter Vizekönig Lord Louis Mountbatten 1947 in Indien beging.

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Sind die Menschen, die nach der Kaperung ihrer Maschine durch Kaschmir-Separatisten eine Woche lang unter unvorstellbaren Bedingungen in einem indischen Airbus schmachteten, späte Opfer eines Techtelmechtels zwischen der Gattin des letzten britischen Vizekönigs in Indien, Lady Mountbatten, und dem Hinduführer Pandit Nehru? Nein, doch die Tatsache, daß Louis Mountbatten offensichtlich nichts gegen das Nahverhältnis seiner Frau zum Führer der Hindus einzuwenden hatte, ist ein weiteres von vielen Indizien und Beweisen seiner Voreingenommenheit zugunsten Nehrus und gegen die indischen Moslems. Auf genau dies läuft jedenfalls die Darstellung des britischen Historikers Andrew Roberts in dessen Buch "Churchill und seine Zeit" hinaus. Wir haben das Buch im Dossier über den Kriegsausbruch 1939 (Furche 35/99) kurz gestreift.

Man spricht nicht mehr gern vom blutigen Chaos, das England zurückließ, als es sich 1947 aus Indien zurückzog. In seinem Buchkapitel "Lord Mountbatten und die Gefahren des Adrenalins" zeichnet Andrews eine üble Geschichte nach. Mountbatten wurde 1900 geboren und starb 1979 mit mehreren Angehörigen bei einem Bombenanschlag der IRA auf sein Fischerboot, nachdem er - das war so seine Art - alle Warnungen mißachtet hatte. Der hessische Prinz Louis Battenberg, ein Urenkel der Königin Victoria, dessen Name 1917 "entgermanisiert" wurde, war ein extrem geltungssüchtiger Offizier, der eine ganze Reihe militärischer Flops verschuldet und dessen Risikobereitschaft schon eine große Zahl unnötiger Todesopfer gefordert hatte, als man ihn zum Liquidator des Empires in Indien machte.

Die Folgen der damals begangenen Schnitzer machen den Subkontinent bis heute zum Pulverfaß. Nicht nur, daß es Wahnsinn war, das indische Kolonialreich nach 250 Jahren statt eines geordneten Rückzugs innerhalb von nur 16 Monaten sich selbst zu überlassen, was nur in einem Blutbad enden konnte, wurde der Abzugstermin dann von Mountbatten auch noch von Juni 1948 auf August 1947 vorgezogen, so daß ganze 73 Tage blieben. Wieder einmal gewann "Mountbattens Adrenalinüberschuß die Oberhand" (Roberts): Er sei selbst überrascht gewesen, als er die Vorverlegung verkündete, gestand er später ein, er habe damit beweisen wollen, daß er der Herr sei: "Dieses absurd frühe Datum sorgte für helle Aufregung, es jagte ihnen allen einen Schrecken ein." Sehr zu Recht.

Roberts legt vor allem eine Fülle von Belegen dafür vor, daß Mountbatten bei allen Gebiets- und sonstigen Teilungen die Moslems überging und benachteiligte, wo er konnte, und den Hindus jeden möglichen Vorteil zuschanzte, womit er eine ganze Reihe sattsam bekannter Konfliktpotentiale in die Welt setzte. Mountbatten kannte und bewunderte Nehru seit mehreren Jahren und stieß sich auch nicht an dem, was der Privatsekretär des Oberbefehlshabers der indischen Armee Feldmarschall Sir Claude Auchinleck nur eine Woche nach der Ankunft des neuen Vizekönigs in Indien bereits seinem Tagebuch so anvertraute: "Nehrus Verhältnis zu Lady Mountbatten ist so eng, daß viele daran Anstoß nehmen." Was Jawaharlal Nehru nicht in seinen langen nächtlichen Gesprächen mit Lady Mountbatten erfuhr, trug ihm sein Vertrauter V. P. Menon zu. Der Vizekönig zog den Mitarbeiter Nehrus zu seinen Stabsbesprechungen zu und erörterte vor ihm offen Themen wie den "Schlachtplan für den Fall möglicher Zusammenstöße oder Unruhen in der Nähe der Grenzen zwischen den beiden Dominions", während die Moslems selbstverständlich von allen internen Gesprächen der Briten ausgeschlossen blieben. Kein Wunder, daß das Klima immer mehr vergiftet wurde.

Auch den Kaschmir-Konflikt erklärt Roberts als Teil von Mountbattens Drachensaat: "Vier von fünf Kaschmiris waren Moslems, und indem er es zuließ, daß Indien Kaschmir besetzte und anschließend annektierte - freilich mit dem Versprechen, dort später Plebiszite abzuhalten -, verstieß Mountbatten gegen das ganze Konzept seines Plans ... sich bei der Aufteilung des Subkontinents an der Religion zu orientieren. Die Plebiszite haben bis heute nicht stattgefunden ... Als die indische Führung Ismay ihre Pläne zeigte, Junagadh zu besetzen, schrieb Ismay seiner Frau, er habe Nehru ,an Hitlers Verhalten erinnert und ihnen gesagt, daß die Welt denken werde, daß sie es nachahmen'."

Die Art, in der Mountbatten bei der Manipulation der Grenzziehungen zwischen Indien und Pakistan zugunsten Indiens mitspielte, war geradezu skandalös, wurde aber erst viel später öffentlich ruchbar. So hätten die Pandschab-Unterbezirke Ferozepore (wo sich wichtige Waffenlager befanden) und Zira mit 65 beziehungsweise 55 Prozent Moslems automatisch zu Pakistan gehört, doch ein lapidares Telegramm "Ausbuchtung beseitigen" sorgte dafür, daß, wie der britische Gouverneur Francis Mudie später schrieb, "die pakistanische Armee den größten Teil ihrer Waffen verlor. Für diese plötzliche Änderung in letzter Minute wurde keine Erklärung gegeben, auch später nicht, aber ich kann mich schwerlich der Annahme entziehen, daß sie zustandekam, weil Mountbatten und seine Regierung ... dazu gedrängt hatten." Als er aufgefordert wurde, das Telegramm und ein Schreiben zu vernichten, erwiderte der Gouverneuer, dies sei sinnlos, weil er das Material bereits seinen Nachfolgern gezeigt habe. "Also verblieb dieser augenscheinliche Beweis dafür, daß der Grenzverlauf nachträglich geändert wurde, in seinen Akten, wo er nach der Unabhängigkeit von der pakistanischen Regierung entdeckt wurde."

Zu den Motiven der von der Labour-Regierung verantworteten Vorgangsweise bei der "Entkolonialisierung" Indiens zählte nach Roberts' Meinung neben dem Wunsch, Indien im Commonwealth zu halten, auch die Hoffnung auf Jobs für britische Offiziere in der indischen Armee. Das volle Ausmaß der indischen Tragödie verschuldeten aber Louis Mountbattens Charaktereigenschaften: Eine explosive Mischung von Selbstgefälligkeit, Ehrgeiz, Ahnungslosigkeit, Unfähigkeit und Präpotenz in einem geradezu unglaublichen Ausmaß. Vor allem dem Versager Mountbatten lastet Roberts die Hunderttausenden, wenn nicht eine Million Todesopfer unmittelbar nach der Unabhängigkeit Indiens und die bis heute schwelende Kaschmirkrise an.

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