Methodische Zweifel an jeder Institution

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Am 8. August wäre Prälat Leopold Ungar 100 Jahre alt geworden. Helmut Schüller, unmittelbarer Nachfolger an der Spitze der Caritas, erinnert sich im FURCHE-Gespräch an seinen Vorgänger und großen Seelsorger.

Im Jahr 1988 folgte Helmut Schüller ihm als Wiener Caritas-Direktor, 1991 übernahm er von Prälat Leopold Ungar auch die Agenden des Österreich-Präsidenten. Schüller, der der Caritas bis 1995 vorstand, erinnert sich an seinen Vorgänger.

Die Furche: Was ist für Sie das Prägendste, was von Leopold Ungar geblieben ist?

Helmut Schüller: Vor allem zwei Dinge: Das eine war sein radikaler Monotheismus. Er hat einmal gesagt: Ich bin in dem Sinn Monotheist, in dem nur Gott Gott ist und sonst nichts. Diese Radikalität hat er auch an alle Institutionen angelegt. Inklusive seiner eigenen Kirche. Er hat immer wieder die Tendenz persifliert und kritisiert, etwas von Gott auf sich abzuziehen - von Gottes Würde, von Gottes Ehrerbietung … In dieser unerbittlichen Kritik sehe ich ein spätes Nachwirken der ersttestamentlichen Propheten. Von daher rührt seine äußerste Vorsicht und Skepsis gegenüber allem Institutionellen.

Die Furche: Aber auch die Caritas ist ja eine Institution …

Schüller: … und Ungar hat diese Kritik auch auf sie bezogen! Das ist der zweite Punkt, der mir geblieben ist: Auch bei der Caritas hat er ständig geargwöhnt, dass etwas, das eigentlich Ereignis sein sollte, zur bloßen Institution wird. Er wusste, dass Nächstenliebe organisiert gehört, aber er hat gleichzeitig davor gewarnt, dass sich die Dinge verselbstständigen können. Leopold Ungar war zeitlebens einer der schärfsten Kritiker der Caritas. Das alles begleitet mich bis heute. Sein Denkansatz hilft beim Analysieren vieler Dinge sehr - einschließlich des eigenen Glaubenslebens: Es geht ums permanente Abklopfen auf den lebendigen Kern. Und der war bei Ungar ein sehr tiefer, berührender Glaube. Mancher mag bis zu Ungars Krebserkrankung, der er vor 30 Jahren erlegen ist, noch gemeint haben, dass das alles nur schöne Worte waren. Aber in der unheilbaren Krankheit hat sich dann diese unglaubliche Suche nach Gott endgültig als echt erwiesen.

Die Furche: Wie äußerte sich das?

Schüller: Ungar hat vor allem einen ganz mystischen Zugang zur Eucharistie gehabt. Einmal meinte er, die Eucharistie sei für ihn der eigentliche Grund gewesen, Christ und dann später Priester zu werden. Es mag dies wie eine Diskrepanz zu seiner sonstigen Weltgewandtheit erscheinen, aber wenn er Eucharistie feierte, hatte man das Gefühl, hier steigt er in eine andere Dimension ein.

Die Furche: Die Caritas war für Leopold Ungar auch ein religiöses Werk und nicht eine Hilfsorganisation.

Schüller: Ja! Er ist er schnell nervös geworden in zweierlei Richtungen: überorganisiert und überprofessionalisiert. Da haben die professionellen Sozialarbeiter bei ihm ein hartes Brot gehabt. Auch ihnen hat er entgegengehalten: Kern der Sache ist, die Liebe, die Gott uns erweist, weiterzuleben. Er hat oft - auch bewusst! - überzogen, aber natürlich auch einen heiklen Kern getroffen: Aus der Sicht des Christentums bleibt Caritas - Liebe - das nobelste Wort für Gott und gleichzeitig auch der eigentliche Maßstab.

Die Furche: Aber gerade in der Ära Ungar ist doch die Caritas von einer "Suppenküche“ zur professionellen Organisation geworden!

Schüller: Das war bei ihm alles gleichzeitig präsent: Er wusste natürlich, dass dies getan werden musste, und sofort kamen ihm Zweifel, ob das auch gut war. Zwischendurch befiel ihn der "methodische Zweifel“, die Skepsis gegenüber allen institutionellen Ausformungen von Nächstenliebe und karitativem Tun. Das war eine ganz seltsame Spannung. Ungar war daher auch nie zu haben für alles, was in Richtung Marketing oder Selbstdarstellung ging. In dieser Welt hat er sich nicht wohlgefühlt. Aber gleichzeitig hat er die, die das zum Wohl der Caritas eingesetzt haben, das auch wieder tun lassen. Aber die mussten sich darauf gefasst machen, dass plötzlich die kalte Dusche kam. Ich kreise immer wieder um diese beiden Pole: Selbstverständlich tun müssen und gleichzeitig überlegen und zweifeln, ob man es richtig macht.

Die Furche: Leopold Ungar hat auch ein großes Faible für Karl Kraus gehabt, der ja ein begnadeter Zyniker war, wahrscheinlich aber kein solcher Menschenfreund.

Schüller: Ungar war ein großer Seelsorger. Er hat ein gutes Gespür für Leute gehabt, die sich nicht so ohne weiteres der Seelsorge anvertrauen. Diese Menschen haben viel von den Gesprächen mit ihm und auch von seinem Glauben profitiert. Ja, Leopold Ungar war ein Menschenfreund. Er selber hat immer wieder gemeint, er muss sich in Acht nehmen, weil sich seine Sprachbegabung dazu verführe, oft zu ironisch zu werden, was auch wieder eine Spannung zur Menschenfreundlichkeit ist. Er hat vor allem unter der Dummheit gelitten und sich nicht gescheut, diese auch beim Namen zu nennen. Als 1956 die Ungarnhilfe endlich angelaufen war und das Chaos dabei groß war, hat Ungar in einem Radiointerview gesagt: Das Schlamassel, in dem wir sind,verdanken wir zweierlei: der Weichheit des Herzens der Österreicher und der Weichheit des Hirns der Politiker. Seine Affinität zu Karl Kraus ist auch stark biografisch bedingt. Er ist schon als Mittelschüler nach Wien gefahren, um Karl Kraus zu hören. Er hat einmal gesagt, bevor sie Kraus verstanden haben, haben sie ihn schon verehrt. Er muss ein Ereignis gewesen sein. Dazu kommt bei Kraus auch das Faible für das gesprochene Wort.

Die Furche: War Leopold Ungar auch ein homo politicus?

Schüller: Er hat sicher als einer der Ersten die politische Seite der Caritas erkannt. Er hat wie es das Konzil später formulierte hat, schon früh gesagt, dass die Liebesgabe erst nach der Gerechtigkeit kommt. Und dass Liebe keinesfalls ein Ersatz ist für Gerechtigkeit. Er hat in seiner Ära den Disput vor allem über die internationale Gerechtigkeit geführt, die nationale Gerechtigkeit war nicht so ein Thema. Dazu kommt, dass Politiker aller Couleur mit ihm das Gespräch gesucht haben, weil die ja innerhalb der Kirche wenige Gesprächspartner hatten. Er hat auch Kardinal König in seinen gesellschaftlichen Positionen beraten.

Die Furche: Wie war das Verhältnis zwischen König und Ungar?

Schüller: Es gibt das Bonmot Königs, in dem er zu Ungar sagt: "Herr Prälat, Sie sind mein Stimulans!“ Und Ungar meinte darauf: "Da hat er nicht unrecht. Dafür ist er meine Beruhigungstablette.“ Ich glaube diese Anekdote zeigt, wie gut die beiden miteinander konnten! König hat Ungar jedenfalls immer eine lange Leine gelassen.

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