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Mann der Zeitkritik

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Prälat Leopold Ungar, der weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte Leiter der österreichischen Caritas, ist eine der profiliertesten Persönlichkeiten nicht nur des kirchlichen, sondern des gesamten geistigen Lebens Österreichs. Seine Stärke liegt allerdings nicht in systematischem Philosophieren, obwohl er sehr viel zu sagen hat und auch ausspricht, sondern mehr in der Form und Rolle eines Predigers, er ist eher Anreger als gelehrter Analytiker. Vielleicht hat ihn aber auch wirklich nur die von Karl Kraus anerzogene Hemmung, etwas zu schreiben und zu Papier zu bringen, daran gehindert, auch ein großer Zeitbeobachter zu werden, dessen Kritik zu Buche schlägt.

Die von Franz Richard Reiter zusammengestellten Texte lassen jedenfalls erkennen, daß sich in diesem Fall ein großes Talent um einen Teil seiner verdienten Wirkung gebracht und sich nur spät und zögernd entschlossen hat, einen Teil seiner Originalität und Kreativität preiszugeben. Die vorliegenden Predigten, Tonbandinterviews und sonstigen Äußerungen zeichnen sich nicht nur durch eine beachtliche thematische Spannweite, sondern auch durch eine klare und elegante

Sprache aus.

Ungar läßt sich nicht nur über sein engeres Arbeitsgebiet und die damit zusammenhängende Problematik des Friedens aus, er greift auch auf seine früheren Lebenserfahrungen zurück und leistet Beiträge zur Aufarbeitung der Vergangenheit, die er bewußt erlebte und, nicht ohne Hilfe der Gnade, zu einem eindrucksvollen Lebensschicksal gestaltete.

Er ist ein Mann der Kirche, versteht aber Christentum und Kirchlichkeit nicht als bequeme und gebahnte Wege des Konformismus, sondern als „Aufruf zum Widerspruch“, wie der letzte der in diesem Band versammelten fünfzehn Beiträge lautet. Allerdings ist der Widerspruch für Prälat Ungar kein Selbstzweck, und nicht, wie bei vielen sich progressiv Dünkenden, in erster Linie Widerspruch gegen die Kirche und ihre Autoritäten, sondern Empörung gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, die die Caritas zwar nicht beseitigen, aber doch lindem und in ihren Folgen erträglicher machen kann.

DIE WELTANSCHAUUNG GOTTES. Von Leopold Ungar, zuiammengestellt von Franz Richard Reiter. Ephelant Verlag Wien 1987,206 Seiten, kart, öS 248,-.

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