ÖSV groß, Doping größer

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Der bei der Nordischen WM in Seefeld durch eine Polizeirazzia aufgedeckte Skandal um Blutdoping macht eine bis in DDR-Zeiten zurückreichende internationale Tradition des Sportbetrugs sichtbar.

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Der bei der Nordischen WM in Seefeld durch eine Polizeirazzia aufgedeckte Skandal um Blutdoping macht eine bis in DDR-Zeiten zurückreichende internationale Tradition des Sportbetrugs sichtbar.

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"Austria is a too small country to make good doping." Der paradigmatische Satz des Peter Schröcksnadel steht am Beginn der aktuellen österreichischen Dopinggeschichte. Er war die erste, panische Reaktion auf die Razzia der italienischen Carabinieri während der Winterspiele von Turin 2006 in zwei ÖSV-Quartieren. ÖSV-Sportler und -Betreuer wurden abgeführt, einige der Betroffenen wurden gesperrt und manche beendeten ihre Karriere. Die konzertierte Razzia österreichischer und deutscher Polizisten in Seefeld und Erfurt im Februar 2019 ist nur der letzte Spin-off einer Serie der Schande. Die "Operation Aderlass" führte zur vorübergehenden Festnahme der österreichischen Langläufer und mutmaßlichen Blutdoper Dominik Baldauf und Max Hauke, sowie dreier weiterer Athleten aus Estland und Kasachstan. Mittlerweile gestanden auch die österreichischen Radsportler Stefan Denifl und Georg Preidler Blutdoping.

Der Seefelder Dopingskandal ist ein Symptom des überkommerzialisierten, hypermedialisierten und für nationalistisches Jubelgeheul missbrauchten Spitzensports. Er ist nicht, wie Österreichs erfolgreichster Olympiateilnehmer, Felix Gottwald, treuherzig meint, ein "Abbild der Gesellschaft". Auch Spitzensportler sind selbstverantwortliche Menschen, manche unterliegen dem Erwartungsdruck, Medaillen oder Siege liefern zu müssen. Spitzensport ist auch ein vom Alltag abgegrenzter, weitgehend selbstbestimmter Sektor, dessen formative Wirkung -die viel besungene "Vorbildfunktion" - auf das Rundherum nicht zu unterschätzen ist.

Doping existiert im US-Kapitalismus und ist Instrument der kommunistischen Diktaturen in Kuba und der real nicht mehr existierenden DDR gewesen. Selbst in "too small" Österreich soll es das geben. Doping braucht Netzwerke. Hauke und Baldauf bedienten sich der Expertise deutscher Fachleute. Der Erfurter Arzt Mark Schmidt ist der Hilfe beim Eigenblutdopen verdächtig. Sein Vater Ansgar Schmidt soll laut Recherchen der ARD den ertappten Athleten in Seefeld zur Hand gegangen sein. Hier werden historische Kontinuitäten sichtbar.

Humanplasma, Humandoping

Die Wiener Plasmapheresestation "Humanplasma" war ab 2003 für einige Jahre die Anlaufstelle für Sportler aus dem Inland und Ausland. Der Radstar Bernhard Kohl sagte 2009 aus, er sei (Doping-)Kunde bei "Humanplasma" gewesen. Schon damals belastete Kohl den Erfurter Mediziner Schmidt, der als Teamarzt des Gerolsteiner Radteams werkte. Schmidt wies vor Gericht jede Schuld von sich und kam davon. Die Umtriebe in der "Humanplasma" endeten. Bis heute ist nicht geklärt, ob es sich dabei, wie ein Gerücht lautete, um "Staatsdoping" oder um eine individuelle Initiative von Trainern und Sportlern handelte. Der involvierte und durch ein autobiographisches Bekennerbuch ("Grenzwertig") bekannt gewordene Medikamentenlieferant Stefan Matschiner gab seine Tätigkeit nach einer gerichtlichen Verurteilung auf. Anschließend gab er die Blutzentrifugen an den Erfurter Arzt Schmidt weiter.

Nun tauchten sie im Zusammenhang mit dem Seefelder Eklat wieder auf. Matschiners Maschinchen dürften von einem kompetenten Netzwerk genutzt worden sein. In Thüringen stand das Zentrum des DDR-Wintersports, noch heute arbeiten in dessen Hauptstadt Erfurt neun Analysestationen für Sportler verschiedener Ausbildungsstufen und Disziplinen. Die Qualität der Arbeit deutet auf eine lebendige Tradition spezieller Athletenbetreuung hin. Österreichs Sportszene profitiert bis heute vom DDR-Know How.

Als "Humanplasma" sich 2003 um Blut der Spitzensportler zu kümmern begann, lag die "Blutbeutelaffäre" der ÖSV-Langläufer und Biathleten bei den Winterspielen von Salt Lake City 2002 ein Jahr zurück. ÖSV-Langlauf-Cheftrainer Walter Mayer soll laut Angaben des ehemaligen "Humanplasma"-Geschäftsführers die Blutversorgung angeregt haben. Mayer behauptete, er habe das Blut der Sportler in Salt Lake City nur mittels UV-Bestrahlung behandeln lassen, um Infekt-Vorsorge zu gewährleisten.

Das ist medizinischer Quatsch. Aber es war auch DDR-Praxis in Erfurt. Die deutsche Journalistin Grit Hartmann beschrieb 2012 die Argumentationskontinuität, in der Mayer stand. Schon vor der Jahrtausendwende war es Sportlern verboten, mit (Eigen-)Blut zu manipulieren, die von Mayer verteidigte UV-Bestrahlung des Blutes hätte zumindest eine medizinische Indikation benötigt. Hartmann: "Die Frage, ob sich die Österreicher eines Exportschlagers aus der DDR bedienten, ist erlaubt. Im ÖSV heuerten viele ostdeutsche Experten an, auch zwei aus Thüringen: der dopingbelastete Biathlon-Cheftrainer Kurt Hinze und sein Oberhofer Kollege Klaus Siebert, inzwischen Trainer in Weißrussland."

Noch heute argumentiert Peter Schröcksnadel in bezeichnender Ausblendung der Realität, Blutdoping sei 2002 nicht verboten gewesen. Vier Jahre später, als wieder verbotene Substanzen und Gerätschaften in ÖSV-Quartieren gefunden wurden, sei nichts raus gekommen, meint Schröcksnadel. Alle weiteren gedopten ÖSV-Sportler seine bedauerliche Einzelfälle. Die Nationale Anti Doping Agentur hat Mayer lebenslang für Arbeit mit (Spitzen-)Sportlern gesperrt.

Schröcksnadel ist seit 1990 ÖSV-Präsident. In seine Zeit fallen die totale Ökonomisierung des Verbandes und sämtliche Dopingskandale. Der nach dem Seefelder Eklat geschasste Cheftrainer Markus Gandler war Mayers Nachfolger als ÖSV-Langlauftrainer. Er war aber auch Schützling des ÖSV-Trainers Walter Mayer gewesen. Unter dessen Führung und als einer der vier ÖSV-Staffelläufer gewann Gandler bei der Nordischen WM 1999 die Goldene. Seine Kollegen Christian Hoffmann (Blutdoping) und Michael Botwinow (Verurteilung wegen Falschaussage) wurden nachträglich zur Verantwortung gezogen. Heute arbeitet Hoffmann als Referent für Skibergsteigen im Landesverband Oberösterreich.

Praktiken aus der DDR

Der österreichische (Spitzen-)Sport zehrt bis heute von den Trainingspraktiken des DDR-Systems. Zum Beispiel werkt im Red Bull-Trainingszentrum in Thalgau Bernd Pansold als Cheftrainingsdiagnostiker. Pansold war in der DDR Dopingstratege und inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Nach der deutschen Wiedervereinigung kam er Anfang der 1990er nach Österreich, werkte auch im Olympiazentrum in Obertauern, wo Wintersportler betreut wurden. Als Pansold 1998 in Deutschland wegen Dopens von Minderjährigen verurteilt wurde und seine Arztlizenz verlor, setzte der ÖSV Pansolds Entfernung von Obertauern durch. Jahre später untersagte der ÖSV-Skispringerchef Anton Innauer seinen Athleten, sich der Trainingshilfe von Red Bull und Pansold zu bedienen.

Innauer hatte vor der WM 1999 in Ramsau der FIS einen Brief geschrieben. Man möge doch in der Ramsau den eben von den Schweden entwickelten Test zum Nachweis des Dopings mit EPO einsetzen. Innauer erhielt von der FIS nicht einmal eine Antwort.

Der ÖSV-Langläufer Johannes Dürr wurde 2014 des EPO-Dopings überführt. Seine Aussagen vor der Staatsanwaltschaft initiierten die Razzien in Seefeld und Erfurt. Am Dienstag wurde er erneut festgenommen. Hat er Dopingbetreuung vermittelt? Man wird sehen. Schröcksnadel hat recht. "Austria is a too small country to make good doping." Doping ist größer als Österreich, sogar größer als der ÖSV.

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