Bedauernswerte Einzelfälle?

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Das ist nun einer der "bedauernswerten Einzelfälle", von denen maßlos überraschte Manager und Betreuer im ÖSV reden, wenn ein Sportler des Dopings überführt wird. Johannes Dürr hat sich mit Martin Prinz einen Co-Autor besorgt, mit dem gemeinsam er seine Geschichte des sportlichen Aufschwungs und des Untergangs, den Wandel vom Strahlemann zur Hassfigur schreiben konnte. Nein, die beiden winden sich nicht heraus, der Langläufer wird nicht als Opfer herausgeputzt, der von Bösewichten für nationale Zwecke missbraucht wurde. Von einem arglosen Burschen, der sich nur sportlich an beeindruckenden Größen messen wollte, ist nie die Rede. Erzählt wird von einem Siegertypus, der um jeden Preis gewinnen muss und bei klarem Bewusstsein die Grenze zur Illegalität überschreitet. Johannes Dürr, der in dieser "Sporterzählung" mit vollem Namen genannt wird wie alle anderen Beteiligten auch, hat vorsätzlich gehandelt.

Atmosphäre der Heimlichkeit

Dennoch lassen die Autoren am ÖSV kein gutes Haar. Nicht, dass Dürr zum Doping verführt worden wäre, aber es stellte sich eine Art von Selbstverständlichkeit ein, seinen Körper als nicht ausreichend gerüstet für schwere Wettkämpfe zu sehen. Also musste nachgebessert werden. "Seine erste Infusion hatte er noch als Jugendläufer im Jahr 2005 bekommen." Achtzehn Jahre alt war er damals. Harmlose Kochsalzlösungen wurden verabreicht vom Mannschaftsarzt, Informationen wurden "im Flüsterton" weitergereicht. Das Ganze in großer Hektik, alles geschah in einer Atmosphäre der Heimlichkeit. "Auch darüber kein Gespräch, keine Aufklärung." Gewiss war das nicht illegal. Es kam vor, dass Substanzen, die eine Zeitlang verabreicht wurden, plötzlich auf der Verbotsliste aufschienen. Dann sattelte man auf Anderes um. Nach der Dopingaffäre von 2006 in Turin, als österreichische Biathleten und Langläufer aufflogen, hielt das große Schweigen an. "Doch kein Wort zu ihnen als junge Athleten [...] Nichts direkt Ausgesprochenes". Es gab ein kollektives Wissen, über das man sich nicht austauschte.

Das ist die Johannes-Dürr-Version, wie sie im zentralen Kapitel nachzulesen ist, das davon berichtet, wie ein junger Sportler überhaupt dazu kommt, sich für Doping zu entscheiden. Autor Martin Prinz als Zuhörer und Chronist stellt das alles nicht in Frage. Er schreibt aus der Sicht eines Sportlers, der so ehrgeizig ist, dass er von den ganz großen Erfolgen träumt, im Bewusstsein, dass ohne medizinische Unterstützung hoch gesteckte Ziele unerreichbar bleiben. Es wird nicht entschuldigt, wie sich einer auf eigene Faust dafür entscheidet, seinen Körper durch Doping aufzupeitschen. Allerdings wird der Entschluss ergänzt um eine Vorgeschichte, gegen die das Management des ÖSV gewiss eine andere Version für stichhaltig nimmt. Das Buch holt weit aus in die Jugend des Sportlers, widersetzt sich aber einer chronologischen Darstellung. Am Anfang steht jener 23. Februar 2014, als ein am Boden zerstörter Johannes Dürr in einem Zimmer in Sotschi, wo gerade Olympische Winterspiele stattfinden, seinen trüben Gedanken nachhängt. Er wurde soeben des Dopings durch das Sauerstoffaufnahme-Mittel EPO überführt. Laut Dürr ist er eben kein Einzelfall. Er machte das "wie so viele andere. Auch das war egal, ihn hatte es erwischt. Jetzt war es vorbei. Alles. Und er schämte sich." Er fällt in ein tiefes Loch, aufgeben will er nicht. Martin Prinz porträtiert einen jungen Mann, für den Aufgeben nie eine Option darstellt, schon als Kind nicht. Die Möglichkeit, Fußballer zu werden, schlug er aus, um sich voll auf das Langlaufen zu konzentrieren. Eine Besessenheit, die andere nicht nachvollziehen können. Ein Eishockeyspieler hält ihm vor, was er in einer populäreren Sportart verdienen könnte. Hier kommt der Edelmut des uneigennützigen Kämpfers zum Tragen, dem es um die Sache und nicht ums Geld geht. Wie sich die Entscheidung auswirkt, lässt sich nachlesen, wenn er Probleme bekommt, seine Familie zu ernähren.

Die Choreografie dieser Biografie ist vorgegeben. Zuerst der mühsame Aufstieg zur Weltspitze, der tiefe Sturz und der Versuch, noch einmal Anschluss zu finden. Aus einer Hoffnung des österreichischen Sports wird ein Held, der es mit den Großen des Langlaufsports aufnimmt. Das verschärft die Verurteilung des Dopingsünders nur, weil er die Öffentlichkeit enttäuscht und betrogen hat. Auf dem Weg zurück bleibt er allein, die Infrastruktur eines Vereins bleibt ihm versagt. Er ist verdammt dazu, auf eigene Faust weiterzumachen, was umso schwieriger ist, weil er gleichzeitig in einer Berufsausbildung steckt. Nach Ablauf der Sperre, die über ihn verhängt worden ist, will er erneut den Anschluss an die Spitze suchen. Um eine Lizenz zu bekommen, hat er auch noch den Kampf gegen den ÖSV zu bestehen, der sein Ersuchen in einem Brief vom Juli 2008 ablehnt. Es bedarf gerichtlicher Schritte, um die Zulassung zu bekommen. Damit sind die Probleme noch lange nicht ausgestanden. Er weist Trainingsrückstand auf, besitzt nicht das beste Material, wird nicht wie Vereinssportler rundum versorgt. Er besitzt nur Kampfkraft und einen eisernen Willen.

Wenn ein Buch zu früh endet

Es ist deutlich zu sehen, dass Martin Prinz an der Rehabilitation Dürrs arbeitet, indem er ihn in der klassischen Tradition eines Underdogs aufgehen lässt, der gegen alle Widerstände sein Ding durchzieht. Ein Mann, freigegeben zur Bewunderung. Literarische Bücher weisen die Eigenschaft auf, immer nur Ausschnitte aus Lebensläufen darzustellen. Das ist verständlich, weil Romane und Erzählungen eine Auswahl aus Begebenheiten treffen, die so charakteristisch sind für eine Figur, dass sie in ihrem Wesen vorstellbar wird. Das macht Bücher mit Happy End so fragwürdig. Sie hören da auf, wo es eigentlich erst richtig anfängt. Der Zustand der Glückseligkeit ist nicht zu halten, unweigerlich kippt er, und wir müssen uns auf Alltag, Depression, Zank und Eintönigkeit gefasst machen.

Auch dieses Buch bricht vorzeitig ab, was sich leicht belegen lässt. Martin Prinz bleibt ja eng an der Lebensgeschichte von Johannes Dürr, er leistet sich keine Erfindungen. Am Ende hat es Dürr geschafft, plant, bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld 2019 zu starten. Der Vorhang fällt, das Ende ist hoffnungsfroh: "Rennwochenende würde sich an Rennwochenende reihen." Zweifel leistet sich Prinz dennoch: "Dezember, Jänner, Februar. Dann die Weltmeisterschaft, mit ihm oder ohne ihn." Dass Dürr gerade in Seefeld, bei dem Ereignis, auf welches er so intensiv hingearbeitet hat, erneut des Dopings überführt wird, ist im Buch noch nicht absehbar. Der Titel "Der Weg zurück" meint, dass jemand, dessen Leben rettungslos vermurkst scheint, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht und nach Jahren der Buße und harten Arbeit in die Gemeinschaft der Sportler aufgenommen wird. Jetzt erkennen wir, dass der Weg zurück zum Doping führte. Das ist die niederschmetternde Bilanz einer Karriere, die das Leben schreibt.

Der Weg zurück Eine Sporterzählung Von Johannes Dürr und Martin Prinz Insel 2019.350 Seiten, geb., € 22,70

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