Störung als Aufklärung

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Unter dem Titel "Gegenwelten“ mischen 35 Künstler den Komplex von Schloss Ambras auf und geben der Sammlung Erzherzog Ferdinands II. einen ganz neuen Touch.

Schloss Ambras, ein beeindruckendes Ensemble aus dem 16. Jahrhundert mit Park, Gartenanlagen, einer Grotte, der Kunst- und Wunderkammer, dem Spanischen Saal, einem Badehaus und einer Portraitgalerie im Hochschloss, war immer wieder auch Spielwiese für zeitgenössische Kunst, allerdings vorwiegend mit Skulpturen im Park. Nun aber gipfelt ein internationales Forschungsprojekt der Universitäten Innsbruck und Hildesheim zum Thema "Gegenwelten“ in einer Schau mit Künstlern von Weltgeltung, wie sie selten zuvor derart hochkarätig in Tirol zu sehen war.

Eingepasst, nicht angepasst

Für Veronika Sandbichler, Direktorin von Schloss Ambras, ist "dieser hochkarätige Start von Interventionen zeitgenössischer Kunst“ zum einen eben ein Start in zukünftig ähnliche Ausstellungen, zum anderen ein absolut willkommener "Störfaktor“, den "das Museum braucht“, um "das Alte aufzuklären“. Die beiden Kuratoren, Christoph Bertsch von der Uni Innsbruck und Viola Vahrson von der Uni Hildesheim, die das ganze Projekt entwickelt haben und leiten, sind ebenfalls vom Resultat begeistert, denn "die Ausstellung passt perfekt in Schloss Ambras hinein“, meinen sie unisono. Und fürwahr muss man ganz genau schauen, wenn man durch die Wunderkammer oder die Portraitgalerie geht, denn die modernen Kunstwerke stechen nicht immer gleich ins Auge, einige passen sich sehr gut ein - allerdings ohne wirklich angepasst zu sein - und schließlich gibt es ja schon in der alten Sammlung in der Wunderkammer eine Reihe sehr bizarrer Objekte. Da sticht etwa Lois Weinbergers kleiner Einhornkopf unterm Glassturz wahrlich nicht hervor und die bizarren "Fleur de sel“-Objekte von Markus Wirthmann, die rein durch einen chemischen Prozess entstanden sind, bieten einen wunderbaren Kontrast zu den edlen Schätzen Erzherzog Ferdinands II., die gleich daneben in den riesigen Vitrinen präsentiert werden.

Anders schaut es natürlich aus, wenn Ondrej Brody und Kristofer Paetau gesellschaftlich verankerte Moralvorstellungen aufs Korn nehmen und Scheinheiliges anprangern, indem sie einen "dogcarpet“ zwischen edle Exponate legen: ein großer Hund ganz im Stil der Jagdtrophäen von Großwildjägern.

Etwas irritierend wohl auch die augenblickliche Situation in der Badestube der Philippine Welser, die, aus dem 16. Jahrhundert stammend, eine kulturhistorische Rarität ist und von Jannis Kounellis annektiert wurde, der als einer der wichtigsten Vertreter der italienischen Arte Povera gilt. Er zeigt hier eine Installation aus 2009 mit hölzernen Prothesen, Schuhen, einer Trommel und Trompeten - ein moderner Totentanz, der, im Detail betrachtet, eine sehr harte und sehr politische Arbeit ist, mit der der Künstler auf die italienische Gesellschaft und ihre politische Vergangenheit Bezug nimmt.

Im Hochschloss häufen sich die Zeitgenossen - Esther Stocker, Valie Export, Heidrun Sandbichler, Christine Susanne Prantauer oder Ruth Schnell kommen ebenso zu Wort wie Peter Fischli und David Weiss, Martin Kippenberger oder Thomas Feuerstein.

Giuseppe Penone ist mit einem Squadro Vegetale ebenso vertreten wie mit der Photoarbeit "Rovesciare i propri occhi“ aus dem Jahr 1970. Diese Arbeit ist faszinierend und abstoßend zugleich, denn Penone lenkt mittels verspiegelter Kontaktlinsen den Blick quasi nach innen, in die Seele des Menschen. Hier blockieren die Linsen die Interaktion mit der Umwelt, das blicklose Gesicht wird zur reinen Skulptur und erfordert vom Betrachter eine Reflexion. Nicht minder dramatisch auch die italienische Feministin Cloti Riccardi, die ihre Geburtsurkunde zur "Expertise“ überarbeitet hat, frei nach Rousseau, der meinte: "Der Mensch ist frei geboren und liegt überall in Ketten.“

Vivald in der Bacchusgrotte

Wesentlich lyrischer kommt da die Videoarbeit "Eaux d’Artifice“ des US-amerikanischen Avantgardefilmers Kenneth Anger rüber, die in der Bacchusgrotte präsentiert wird. Anger drehte seinen abstrakten Film 1953 in den Gärten der Villa d’Este nahe Rom, setzte auf die Musik von Vivaldi und verfremdete den Film mittels eines Filters derart, dass alles in sattes Blau getaucht ist. So entsteht ein sehr spezieller Dialog, der in der Grotte besonders raffiniert wirkt.

Gegenwelten

Schloss Ambras, Innsbruck

bis 1. November, tägl. 10-17 Uhr

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