Subtiles Wunder und Sowjetinferno

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Unterschiedliche Eindrücke hinterließ der russische Einakter-Abend im Theater an der Wien: Während "Iolanta“ gelang, irritierte "Francesca da Rimini“.

Eine reizvolle Idee, die jeweils letzte Oper von Peter Iljitsch Tschaikowsky und Sergej Rachmaninow - beide nach einem Libretto von Tschaikowskys Bruder Modest - an einem Abend zu bringen. Denn zusammen ergeben die Einakter die Länge eines üblichen Opernabends und sind bei allen inhaltlichen Unterschieden durch das Thema Liebe verbunden. Da dies bei Tschaikowsky gut ausgeht, bei Rachmaninow schlecht, bietet das die Möglichkeit, die Facetten von Licht und Dunkel als dramaturgisches Mittel einzusetzen, was sich Regisseur Stephen Lawless auch nicht entgehen ließ.

Kluge Personenführung

Schauplatz des Tschaikowsky-Einakters in dieser Inszene ist ein blütenweißer Augapfel mit einigen an ein Fürstenhaus erinnernden Requisiten, den man dank der Drehbühne des Theaters in Sekundenschnelle ins Äußere eines grauen Bunkers (Bühne: Benoît Dugardyn) verwandeln kann. Im Mittelpunkt steht die von Geburt an blinde Prinzessin Iolanta, die von ihrem Vater König René in falsch verstandener Fürsorge von der Außenwelt abgeschottet und über ihre Blindheit erst gar nicht aufgeklärt wird.

Erst der Iolanta bis dahin unbekannte Ritter Gottfried von Vaudémont, den sie später anstelle des für sie vorgesehenen burgundischen Herzogs Robert ehelicht, spricht sie darauf an, bringt die entscheidende Wende in ihr Leben. Nun ist die Prinzessin frei für eine Operation, mit der sie das Augenlicht wiedererlangt. Frei für ein anderes Leben ist auch Robert: Er kann seine bisher geheime Liebe Mathilde von Lothringen - sie ist in der Oper nur angedeutet, wird von Lawless elegant als stilvolle Tänzerin (Barbora Kohoutková) gezeigt - endlich als seine Braut heimführen. König René akzeptiert dies ohne weiteres, immerhin war seine Syphilis-Erkrankung der Grund für die ursprüngliche Blindheit seiner Tochter.

Mit einer klugen, dezenten, aber eindringlichen Personenführung versteht der britische Regisseur die einzelnen Charaktere zu zeichnen, ihr Innenleben deutlich zu machen. Ideal passend zu Tschaikowskys darauf konzentrierter Musik, die aus anfänglich verhangenen Moll-Tonarten zu strahlend hellem C-Dur führt. Durchwachsen die Besetzung mit Olga Mykytenko als in der Höhe nur bedingt brillanter Iolanta, Dmitry Belosselsky als mächtig orgelndem König René, Dalibor Jenis als noblem Herzog Robert, Saimir Pirgu als leidenschaftlich auftrumpfendem Gottfried von Vaudémont, Elchin Azizov als souveränem maurischen Wunderheiler Ibn-Hakia, Svetlana Shilova als resoluter Amme Martha.

Dass es dramatisch-dunkel nach der Pause weitergehen würde, machte der im "Iolanta“-Finale plötzlich aufblitzende rote Sowjetstern deutlich. Und tatsächlich, Lawless verlegte das vom fünften Gesang von Dantes "La divina commedia“ inspirierte Sujet von Rachmaninows "Francesca da Rimini“ - die unglückliche Liebesgeschichte von Lanceotto Malatesta und Francesca, die ihn mit seinem attraktiveren Bruder Paolo betrügt - in das Ambiente eines von unmenschlicher Brutalität bestimmten sowjetischen Zwangslagers.

Im Kontrast zur Musik

Damit kippt die Aussage des Stücks: Nicht mehr die Dreipersonen-Konstellation sondern die Anklage gegen ein Gesellschaftssystem rückt ins Zentrum. Statt Liebe und Eifersucht wird Unterdrückung zum beherrschenden Thema. Ganz im Kontrast zu Rachmaninows Musik, die nicht Dramatik, sondern Emotion widerspiegelt, wie es wenigstens aus dem Orchestergraben mit dem gut studierten ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter dem mehr routinierten als inspirierten Chefdirigenten des Moskauer Bolschoi-Theaters, Vassily Sinaisky, tönte.

Untadelig, wenngleich undeutlicher in ihrer Physiognomie als bei Tschaikowsky, agierten die Darsteller Ladislav Elgr (Dante), Vladimir Baykov (Vergils Geist), Dmitry Belosselsky (Lanceotto Malatesta), Olga Mykytenko (Francesca), Saimir Pirgu (Paolo). Wieder einmal bestechend die Wandlungsfähigkeit, Präzision, aber auch stets darstellerische Präsenz des Arnold Schoenberg Chors.

weitere Termine:

27., 29., 31. Jänner

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