Thema: Religiöse Autorität
Könnte es sein, dass ein Lehramt, das offiziell gar nicht existiert, zuweilen ganz besonders nachhaltig wirkt? Protestantinnen und Protestanten kennen im Prinzip nur eine Autorität: das Wort Gottes, die Bibel. Aber wenn's drauf ankommt, dann hat meist doch der Herr Pfarrer recht, und der schaut im Lehrbuch nach. Und der Herr Professor, der das Lehrbuch verfasst hat, der hat bei einem anderen Herrn Professor abgeschrieben, und der, seinerseits, fürchtet das Urteil der Fakultät. - So entsteht das gängige protestantische Konglomerat aus Nachgesprochenem. Da zieht sich die Wahrheit gelangweilt zurück, denn mit ihr rechnet ohnehin niemand. Soll sie in einem dogmatischen Kompendium nach sich Ausschau halten? Oh, dieses Buch verstehe, wer da will!
Aber manchmal, da knallt es plötzlich. Zum Beispiel, wenn ein paar Unerschrockene sich aufmachen, die Bibel neu zu übersetzen: in gerechte Sprache. Dann kriechen sie aus ihren Löchern und fangen an zu trompeten, die älteren Herren (und einige Damen), von denen schon länger nichts mehr zu hören war und die wohl auch ihrerseits nicht allzu sorgsam gelauscht haben, was sich in ihrer Kirche so tut: Schon mal von postpatriarchaler Theologie gehört? Von interreligiösem Gespräch? Von der ecclesia semper reformanda?
Wenn es so richtig kracht und zischt, dann liebe ich meine Kirche. (Natürlich erst, nachdem der Initialzorn sich gelegt hat.) Denn dann wird, mitten im Getümmel, auch sie wieder lebendig: die Wahrheit, die wir doch alle wissen wollen und die wir tatsächlich manchmal gemeinsam erahnen. Bevor sie sich wieder davonmacht oder in seligen Kirchenschlaf versinkt.
Die "Bibel in gerechter Sprache" hat man vorerst in die Wüste geschickt. Aber Wüstenwanderungen enden bekanntlich zuweilen in gelobten Ländern.
DIE EWIGE sei mit uns.
* Die Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz
