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Fernsehen und Filmbesuch

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So wie vor 50 Jahren das Theater den Film als eine heraufziehende Gefahr für seine Besucher ansah und sich dagegen mit allen Mitteln zur Wehr setzte, mit dem Ergebnis, daß nach 50 Jahren das Theater nicht verschwunden und der Film groß geworden ist, so sieht jetzt das Kino im Fernsehen im Unterhaltungsangebot einen neuen Konkurrenten, der ihm potentiell und tatsächlich Besucher wegnimmt. Aber wie seinerzeit das Wachsen des Films nicht aufzuhalten war und Theater und Film nebeneinander ihre Existenz finden mußten, so ist es heute mit dem Nebeneinander von Film und Fernsehen.-Entwicklungen lassen sich nicht zurückschrauben, und um Besucher kann nicht mit Protesten, sondern nur durch Leistungen geworben werden.

Vor allem aber geht es um Klarheit, die nicht aus Schlagworten, sondern nur aus genauen wissenschaftlichen und statistischen Untersuchungen gewonnen werden kann. Eine erste dankenswerte Untersuchung wurde im Auftrag der Spitzenorganisation der deutschen Filrnwirtschaft angestellt, und ihre Ergebnisse liegen jetzt in den Statistischen Berichten, Sondernummer 3 (Jänner 1960), vor.

Im Mai und Juni 1959 hat man in einem mittelgroßen Filmtheater in einer Großstadt eine Untersuchung über den Filmbesuch vorgenommen und den Filmbesuch mit der Sehbeteiligung am Fernsehprogramm verglichen. Man mußte einen Film wählen, weil die Attraktion verschiedener Filme und ihre unterschiedliche Zugkraft den Vergleich unmöglich gemacht hätten; es mußte ein Film mit längerer Laufzeit sein, so daß sich die Verschiedenheiten des Fernsehprogramms auswirken konnten. In den Vergleich wurden der unter- oder überdurchschnittliche Kinobesuch, die unter- oder überdurchschnittliche Sehbeteiligung und das Wetter einbezogen. Für die Sehbeteiligung wurden die von dem Münchner Institut Infratest im Auftrage der Gesellschaft der Freunde des Fernsehens ermittelten Zahlen verwendet. Das Institut drückt die Seh-beteiligung durch eine Verhältniszahl aus, die anzeigt, wieviel Prozent aller angemeldeten Empfänger bei einer bestimmten Sendung eingeschaltet sind.

Das Ergebnis läßt sich in einige wenige Sätze zusammenfassen, die dennoch interessante Erkenntnisse andeuten. Eine ist der Wochentagsrhythmus des Filmbesuches und der Sehbeteiligung: Montag, Donnerstag und Freitag waren die Tage des geringeren Filmbesuches, Montag und vor allem Freitag sind die Tage einer geringeren Sehbeteiligung. Den höchsten Kinobesuch weisen die Wochenenden und die Feiertage auf, die etwa 40 Prozent des gesamten Wochenbesuchs ausmachen. Bei den Fernsehen ergab sich in der Regel am Samstag die höchste Sehbeteiligung. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend. Alle Unterhaltungsmittel werden in der Freizeit — und diese ist für viele das Wochenende — stärker in Anspruch genommen als im Alltag. Dem entspricht auch, daß die Tage, die den geringsten Kinobesuch aufwiesen, nur Wochentage waren. Die Hälfte dieser Tage wies aber eine überdurchschnittliche Sehbeteiligung auf. Betrachtet man aber die acht Werktage, die eine hohe Sehbeteiligung am Fernsehsohirm aufwiesen dann ergibt sich, daß davon nur zwei Werktage mit gutem Kinobesuch waren, an den sechs anderen Tagen hingegen lag der Kinobesuch unter dem Durchschnitt. Diese Entsprechung legt die Annahme einer Abhängigkeit von Sehbeteiligung und Kinobesuch in bestimmten Fällen sehr nahe.

Diese Abhängigkeit wird vom Wetter und vom Programm bestimmt. Andere Faktoren, die auch eine Rolle spielen, wurden in diesem Zusammenhang nicht untersucht. Publikumswirksame Sendungen, Fernsehfilme und Fernsehspiele, scheinen je nach ihrer Beliebtheit, vor allem an Wochentagen, den Hlmbesuch zu beeinträchtigen. An drei Tagen, in denen Fernsehfilme gesendet wurden, stand in zwei Fällen einer überdurchschnittlichen Sehbeteiligung ein schwacher Kinobesuch gegenüber. Hingegen gilt das, soweit es die vorliegende Untersuchung zeigt, nicht für Spielfilme im Fernsehprogramm. Von vier Tagen, an denen Spielfilme gesendet wurden, gab es nur an einem Tag — an dem der schon lange aus den Kinos verschwundene Film „M“ gezeigt wurde — eine überdurchschnittliche Sehbeteiligung, und in einem Falle wurde sogar ein gesteigerter Kinobesuch registriert.

Hingegen zeigt sich in der Untersuchung deutlich, wie sehr der Kinobesuch vom Wetter abhängig ist. An heiteren, sonnigen Tagen (die Untersuchung erfolgte im Mai/Juni) war in 84,6 Prozent der Fälle der Kinobesuch unter dem Durchschnitt. Hingegen war die Fernsehbeteiligung an 50 Prozent dieser Tage eine überdurchschnittliche. Sie weist offenbar keine Abhängigkeit vom Wetter, sondern in erster Linie vom Programm auf.

Der beste Kinobesuch lag an Tagen mit Bewölkung und Niederschlägen. Fiel auf solche Tage ein unterdurchschnittlicher Kinobesuch, so entsprach er in der Regel einer stärkeren Sehbeteiligung. Der regnerische Tag im Frühjahr lockt ins Kino. Hat aber an diesem Tag das Fernsehen das stärkere Programm, dann fällt die Wahl des potentiellen Filmbesuchers auf das Fernsehprogramm, und er geht dem Kino verloren.

Die dankenswerte Untersuchung betrachtete gegenüber der Programmvariabilität des Fernsehens im Kino nur einen Film. Für den in der Untersuchung registrierten Kinobesuch bestand also alle neun Wochen lang der gleiche Anreiz. Hier läge die Chance des Kinos. Demi auch das Kino konnte sein Programm variieren und dem von Bildschirm und Leinwand umworbenen Publikum das stärkere Programm vorsetzen. Dann würde, so wie der Samstag mit seinem Wunsch zum Ausgehen dem Kino seine starken Chancen gibt, der starke Film die Besucher ins Kino ziehen: der Zuschauer ist immer bereit, dorthin zu gehen, wo er bewegt, wo er angerührt wird. Das aber zeigen Untersuchungen wie diese: er hat wieder die Wahl.

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