"Überschüssige" Liebe sinnvoll nützen

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Den Leih-Opa gab es nur im Fernsehen, die Leih-Oma gibt es wirklich. Es sind Frauen, die gerne ihre Zeit mit Kindern verbringen möchten.

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Den Leih-Opa gab es nur im Fernsehen, die Leih-Oma gibt es wirklich. Es sind Frauen, die gerne ihre Zeit mit Kindern verbringen möchten.

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Seit mehr als 25 Jahren vermittelt der Oma-Dienst des Katholischen Familienverbandes Seniorinnen an junge Familien. Allein in Wien hat der Oma-Dienst der Erzdiözese mehr als 500 Namen von Frauen in der Kartei, die über freie Zeit verfügen und diese gerne mit Kindern verbringen möchten - und jährlich nehmen mehr als 1.000 Familien dieses Service in Anspruch.

Auch Familie Ranner hat vor einigen Jahren die Nummer des Wiener Oma-Dienstes gewählt. Christina geht jetzt in die zweite Klasse Volksschule, Marlene noch in den Kindergarten. Ihre Großmütter leben nicht in Wien, und ihre Mutter, die wieder halbtags arbeitet, ist froh über zusätzliche Hilfe. Und "Oma Renate", wie sie von den beiden Mädchen genannt wird, hilft gerne. Ihre Enkel leben in Innsbruck und in Deutschland, und so hat sie seit ihrer Pensionierung "viel zu viel überschüssige Zeit und auch zu viel überschüssige Liebe". So viel "überschüssige Zeit und Liebe", daß sie neben den Ranner-Kindern auch andere Kinder betreut, die ihr vom Oma-Dienst vermittelt wurden. Das jüngste dieser Kinder ist wenige Monate alt, das älteste geht schon ins Gymnasium.

Dementsprechend unterschiedlich sind daher auch die Wünsche und Anforderungen, die an die Leih-Oma gestellt werden: sie reichen vom Füttern und Wickeln bis zum Abholen von Schule und/oder Kindergarten, über das Begleiten zu Musik- und zusätzlichen Turnstunden bis zum Hausaufgabenmachen und Spazierengehen.

Alle Leih-Omas sind - mit wenigen Ausnahmen - selbst Mütter und Großmütter. Deshalb verzichten die Damen vom Oma-Dienst auch auf Aufnahmsprüfungen im Sinn von Wickelkursen und ähnlichem. Auch die Frage nach Leumunds- und polizeilichen Führungszeugnissen wird von der Leiterin des Oma-Dienstes der Erzdiözese Wien, Elisabeth Prantl, verneint. Fünfundzwanzig Jahre Erfahrung und Menschenkenntnis lassen gar nicht zu, daß sich "schwarze Schafe" in die Kartei einschleichen. "Es ist wunderbar, daß es funktioniert", sagt sie über diesen absoluten Vertrauensjob.

Frau Prantl leitet den Wiener Oma-Dienst seit fünf Jahren, und ihr macht die Arbeit sichtlich Freude: "Es ist das Schönste, wenn man weiß, daß man anderen helfen kann." Im allgemeinen ist beiden Seiten - den jungen Familien ebenso wie den Seniorinnen - geholfen, aber sie erzählt auch von Fällen, die ihr als Leiterin des Oma-Dienstes nahegegangen sind. So zum Beispiel von einer älteren Historikerin aus Rußland, die nirgends mehr eine Anstellung bekommen hatte, und von einer Studentin aus dem Iran, für die sie das Durchschnittsalter ihrer "Leih-Omas" gerne gesenkt hatte.

Die Arbeit lenkt ab Gegründet wurde der Oma-Dienst im November 1973 von Traudl Langfelder. Sie hatte damals die Idee, Familien, die keine eigenen Omas für die Betreuung ihrer Kinder zur Verfügung haben, und Frauen, deren eigene Kinder erwachsen und außer Haus sind, aneinander zu vermitteln.

Ihr ging es dabei auch darum, daß die Arbeit mit Kindern von den eigenen Problemen und Wehwehchen ablenkt und das Gefühl, gebraucht zu werden, drohende Vereinsamung der Seniorinnen erst gar nicht aufkommen läßt. Die Eltern würden dabei von der Erfahrung der Älteren profitieren, und die Kinder würden die Freuden und Einschränkungen des Alters kennenlernen. Gelebte Solidarität zwischen den Generationen also.

Frau Ranner war genau diese Erfahrung einer älteren Frau und Mutter wichtig. Sie suchte "keinen Babysitter, sondern jemanden, auf den man sich hundert Prozent verlassen und dem man im Notfall auch ein krankes Kind anvertrauen kann". Bei Oma Renate dreht sie sich um und geht ruhig ins Büro, wenn ein Kind in der Früh einmal fiebern sollte. Frau Ranner ist neben der Unterstützung tagsüber aber auch die Möglichkeit, abends einmal auszugehen, wichtig. Ein Abend mit ihrem Mann, "an dem man nicht nur Mami und Papi ist".

Frau Ranner hatte sich die Telefonnummer des Oma-Dienstes schon aufgeschrieben, lange bevor sie zusätzliche Hilfe brauchte. Die Vermittlung verläuft unkompliziert und unbürokratisch: auf Wunsch schickt der Oma-Dienst einen kleinen Fragebogen zu, auf dem man Namen und Adresse, Anzahl und Alter der Kinder sowie die Tageszeit, in der man am ehesten Unterstützung bräuchte, angibt. Der Oma-Dienst liefert dann innerhalb weniger Tage Namen und Telefonnummern jener Omas, die Zeit hätten und entweder in der Nähe wohnen, oder eine gute Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel haben. Das Service des Oma-Dienstes ist für alle Mitglieder des Katholischen Familienverbandes kostenlos, alle anderen werden um eine Spende in der Höhe zwischen 100 und 400 Schilling gebeten.

Die (Rest-)Finanzierung des Oma-Dienstes erfolgt durch die jeweilige Erzdiözese. Die Familien finden "ihre" Oma unter den Vorschlägen am besten durch Telefonate und kleine Vorstellungsgespräche. In diesem Stadium hat sich der Oma-Dienst schon ausgeklinkt. Erst nach einiger Zeit kommt ein freundlicher Anruf, ob alles zur besten Zufriedenheit läuft.

Ein "Leih-Enkerl" Die Seniorinnen kommen auf den unterschiedlichsten Wegen zum Oma-Dienst. Einige erfahren von dieser Möglichkeit, neue soziale Kontakte zu knüpfen und dabei zusätzlich ein Taschengeld zu verdienen, über ihre Pfarre, andere haben schon im Telefonbuch unter "Oma" nachgeschaut oder am Kinderspielplatz von einer Dame gehört, daß das spielende Kind "nur ein Leih-Enkerl" ist.

Altersbeschränkung gibt es keine. Die älteste Leih-Oma ist, so sagt Frau Prantl, schon 84 Jahre alt.

Die Beziehung zwischen den Familien und den Leih-Omas kann so eng werden, daß gemeinsame Geburtstagsfeiern und Urlaube zur Regel werden. Es gibt sogar Leih-Omas, die Weihnachten bei "ihren" Familien feiern.

Doch auch die Beziehung zwischen Leih-Omas und Leih-Enkerln dauert nicht "ewig". Oma Renate hat neben ihrer vielen überschüssigen Zeit auch einen anderen Grund, warum sie mehrere Kinder in verschiedenen Familien betreut: sie möchte sich nicht zu stark emotionell an ein Kind binden.

Auch wenn alle noch so zufrieden sind, irgendwann wird eine Leih-Oma nicht mehr gebraucht - und für diesen Moment versucht sie sich so früh als möglich zu wappnen.

"Wenn sie kommt, ist es immer lustig", sagt Christina über Oma Renate. Und Sophia lacht, wenn Oma Krallert bei der Türe hereinkommt. Sophia ist erst vier Monate alt, aber die Stimme von Oma Krallert erkennt sie sofort. Oma Krallert hat selbst vier Kinder, und das jüngste Enkelkind ist nur wenige Tage jünger als Sophia.

Zusatzeinkommen Bis zur Pensionierung vor einigen Jahren arbeitete Frau Krallert als Sprechstundenhilfe bei einem Arzt - sie ist Trubel gewohnt. Ihre ersten Leih-Enkel betreute sie deshalb schon bald nach dem Austritt aus dem Berufsleben, und zu ihnen hat sie auch heute noch Kontakt.

Vor kurzem ist auch Frau Krallerts jüngster Sohn ausgezogen, und sie hat sich eine neue, kleinere Wohnung genommen und ist über eine zusätzliche Einnahmequelle nicht unglücklich. Seitdem ist sie oft bei Sophia, spielt mit ihr, füttert sie, wechselt Windeln und geht mit ihr spazieren. Sophia strahlt dann über das ganze Gesicht, und ihre Mutter verläßt beruhigt das Haus.

Die Hilfe der Omas ist nicht kostenlos, sie bekommen durchschnittlich 80 Schilling in der Stunde. Meist wird auch der Preis für die Fahrkarte von den Eltern übernommen, oder die Kosten für ein Taxi, wenn es einmal spät geworden ist. Die meisten Leih-Omas sind haftpflichtversichert, und alle müssen sich um die eventuelle Versteuerung ihres Zusatzeinkommens selbst kümmern.

"Wir brauchen immer Omas", sagt Frau Prantl, "denn auch die Nachfrage steigt ständig."

Info-Tip Den Oma-Dienst des Katholischen Familienverbandes gibt es in Wien, Linz, Salzburg, Bregenz, Klagenfurt und Graz. In Wien ist er unter der Telefonnummer 01/486 36 68, Montag bis Freitag von 9-12 Uhr, erreichbar.

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