"Nicht hier, um gegen Putin zu kämpfen"

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Der ehemalige georgische Präsident Micheil Saakaschwili ist seit Mai Gouverneur der Region Odessa im Südwesten der Ukraine. Ein Gespräch über Korruption, die Rolle von Ausländern bei den Reformen in der Ukraine und das Verhalten der EU im Konflikt mit Russland.

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Der ehemalige georgische Präsident Micheil Saakaschwili ist seit Mai Gouverneur der Region Odessa im Südwesten der Ukraine. Ein Gespräch über Korruption, die Rolle von Ausländern bei den Reformen in der Ukraine und das Verhalten der EU im Konflikt mit Russland.

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Micheil Saakaschwili war von 2004 bis 2013 Präsident Georgiens. Als die ukrainische Reformregierung antrat, die Korruption im Land zu bekämpfen vergab sie Ämter an Ausländer, um der Korruption und den Oligarchen-Seilschaften besser entgegentreten zu können. So wurde aus Saakaschwili ein ukrainischer Gouverneur der Hafenstadt Odessa.

Die Furche: Warum braucht es einen ehemaligen georgischen Präsidenten in der Ukraine? Sind die Ukrainer nicht fähig, sich selbst zu reformieren?

Micheil Saakaschwili: Für die Vergabe politischer Ämter an Ausländer hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine ganz klare Motivation: Früher hatte die Regierung das Land unter sich und ihren Clans aufgeteilt und sich an Staatsunternehmen bereichert. Das soll sich nun mit den Ausländern, die in die Ukraine geholt wurden, ändern. Ich habe Präsident Poroschenko angeboten, nach Odessa zu kommen. Ich bin aber nicht hier, um gegen Putin zu kämpfen, sondern um die Lage vor Ort zu ändern. Gelingt dies, werden auch Putins Chancen schwinden, den Konflikt in der Ukraine weiter zu schüren.

Die Furche: Nicht alle der ausländischen Experten waren erfolgreich. Gesundheitsminister Alexander Kwitaschwili, wie Sie ein gebürtiger Georgier, ist bereits wieder zurückgetreten.

Saakaschwili: Kwitaschwili war mir zu wenig radikal bei der Bekämpfung der Korruption. Ich habe seinen Rücktritt gefordert. Persönliche Integrität allein reicht nicht aus in einem System, in dem alle anderen Bestechungsgelder annehmen. Für die Berufung der Georgier gibt es einen einfachen Grund: Sie leben in der selben Art postsowjetischer Realität wie die Ukrainer. Odessa mit seinen kriminellen Strukturen und der Korruption erinnert mich stark an Georgien in den späten 1990er-Jahren.

Die Furche: Was sind Ihre Prioritäten in Odessa?

Saakaschwili: Absolute Priorität hat jetzt die Bekämpfung der Korruption. Alle bisherigen Bezirksvorsteher haben wir bereits abgesetzt. Die Verwaltung braucht neues, integres Personal. Wir rekrutieren momentan junge Leute, die noch nie in der Administration gearbeitet haben. Das Problem ist, dass wir in der Verwaltung nur so geringe Gehälter bezahlen können, dass die Leute entweder auf ihre Ersparnisse zurückgreifen müssen - oder sie haben irgendein Einkommen, das gegen das Gesetz verstößt.

Die Furche: Sie führen Ihren Kampf gegen Korruption sehr öffentlich. Entlassungen korrupter Beamter sind im Fernsehen oder im Internet zu sehen. Sehen die Menschen Ihre Methoden nicht als zu aggressiv?

Saakaschwili: Bevor man etwas Neues schaffen kann, muss man erst das alte System zerstören. Meine Methoden sind nicht aggressiv, ich spreche nur aus, was die Menschen denken und sagen. Jedes kleine Restaurant oder Geschäft muss Bestechungsgelder an Behörden bezahlen. Damit aufzuräumen ist kein Populismus, es geht darum, normale Zustände zu schaffen wie in anderen Ländern auch.

Die Furche: War Ihre Arbeit in Georgien nicht leichter? Immerhin waren Sie dort Präsident und jetzt als Gouverneur sind Sie doch Teil einer Hierarchie?

Saakaschwili: Ja, in Georgien war es einfacher, allerdings hat sich seit damals viel verändert. In der Ukraine ist eine neue Generation herangewachsen. Die Menschen hier sind sehr viel offener für echte Veränderungen. In Georgien musste die Regierung die Menschen zur Veränderung führen. Hier führen die Menschen die Regierung. Der Reformprozess hängt nicht an Technokraten oder an einem einzelnen Politiker, der Ideen vorschlägt. Die Menschen hier wissen, was sie wollen. Ich glaube deshalb, dass die Ukraine viel erfolgreicher sein wird mit ihren Reformen als Georgien.

Die Furche: Interessiert sich die Europäische Union denn überhaupt noch für die Ukraine und den Krieg im Osten des Landes? Brüssel ist im Moment sehr stark mit Griechenland beschäftigt.

Saakaschwili: Der Krieg in der Ukraine ist essentiell für Europa. Die Ukrainer kämpfen auch für die Zukunft der europäischen Demokratie und die europäische Lebensart. Würde die Ukraine fallen, würde Russland weitermarschieren. Nach Zentraleuropa, den Kaukasus, Zentralasien. Griechenland ist eine Bedrohung für die europäische Wirtschaft, aber Russland bedroht die physische Existenz gewisser EU-Länder.

Die Furche: Was erwarten Sie sich denn konkret von Brüssel?

Saakaschwili: Wir wollen, dass Europa seine Soft Power nützt. Es geht um Investitionen in die Menschen, darum, ihnen neue Möglichkeiten zu verschaffen. Man muss Straßen bauen, die Wasserversorgung verbessern. Europa kann jetzt 20 Millionen Euro ausgeben und damit Kosten in Milliardenhöhe vermeiden, die entstehen könnten, wenn sich der Konflikt weiter ausbreitet.

Die Furche: Wünschen Sie sich auch Waffenlieferungen?

Saakaschwili: Wir erwarten nicht, dass die Europäer uns Waffen schicken, auch wenn einzelne Länder dies vielleicht tun werden. Wir können die Ukraine nur retten, wenn sie zeigt, dass sie zu einem anderen Land geworden ist.

Die Furche: Die Menschen in Odessa bringen Ihnen große Vorschusslorbeeren entgegen. Es wird jedoch immer wieder die Befürchtung geäußert, Sie könnten Ihr Gouverneursamt schon bald wieder aufgeben und nach Kiew oder nach Georgien zurückkehren.

Saakaschwili: Ich werde so lange in meinem Amt bleiben, wie es nötig ist. Odessa ist für Putin von großer strategischer Wichtigkeit. Es ist das Zentrum seines Projekts Novorossija, das er schaffen will. Fällt Odessa, ist auch die Zukunft der Ukraine nicht mehr garantiert. Und wenn die Ukraine fällt, dann könnte auch Georgien durch den großen Tsunami, der dann folgen wird, von der Landkarte gefegt werden. Dann gibt es kein Georgien mehr, in das ich zurückkehren könnte.

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