"Ich sehe wundervolle Dinge"

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Aller Häme zum Trotz: Die "Tutanchamun"-Schau im Völkerkundemuseum bietet einen faszinierenden Einblick in die altägyptische Kultur.

Das Alte Ägypten gilt nicht zu Unrecht als Wiege der menschlichen Zivilisation. Im Wiener Museum für Völkerkunde sind derzeit im Rahmen der Ausstellung "Tutanchamun und die Welt der Pharaonen" 140 hochkarätige Relikte dieser faszinierenden Hochkultur zu sehen. Ein Grund zur Freude, könnte man meinen. Doch der Unternehmung schlägt Ablehnung, ja Hass entgegen. Österreichische Medien zitieren genüsslich den Londoner Guardian, demnach die Schau originale Objekte wie Fakes aussehen lasse - in Anspielung auf eine aktuelle Ausstellung in Zürich, die eine Kopie des Tutenchamun-Grabes zeigt. Mit Häme wird vorgerechnet, dass der erwartete Besucheransturm bislang ausgeblieben sei. Es sind die üblichen elitären Dünkel: Wieso überhaupt eine Tutenchamun-Ausstellung, wenn es solche schon in der Vergangenheit gegeben hat? Und wenn schon, dann nur mit einem zeitgemäßen Ansatz wie "Genderkonflikte im Präfaschismus am Beispiel Altägyptens" oder so ähnlich.

"Geheimnisvoller" Pharao

Zugegeben, das Drumherum der Wiener Schau ist abschreckend. Es beginnt bei der Verwendung der englischen Schreibweise "Tutanchamun" statt der in der deutschen Fachliteratur gängigen Schreibung "Tutenchamun" und endet mit den hässlichen Plastikpyramiden vor dem Völkerkundemuseum. Obwohl mittlerweile als gesichert gilt, dass der Pharao an den Folgen eines Unfalles gestorben ist, wird von der PR-Maschinerie noch immer die Mär von den "mysteriösen" Todesumständen des "geheimnisvollen" Pharaos verbreitet. Organisiert wird die Wanderausstellung, deren erste Station Wien ist, von einem US-Sport- und Unterhaltungsveranstalter. Trotz alledem ist die Ausstellung selbst ein seriöser, allgemein verständlicher und mit wirklich erstklassigen Objekten veranschaulichter Überblick über die altägyptische Kultur.

Der im Mittelpunkt stehende Tutenchamun war ein eigentlich unbedeutender Herrscher. Er starb im Alter von 19 Jahren, wahrscheinlich nach einem Reitunfall, infolge eines offenen Oberschenkelbruches oder innerer Verletzungen. Weltbekannt wurde er nur, weil 1922 sein beinahe unversehrtes Grab im Tal der Könige entdeckt wurde, das wertvollste Grabbeigaben sowie den goldenen Sarkophag mit der Mumie des Pharaos enthielt. "Ich sehe wundervolle Dinge", rief der Archäologe Howard Carter aus, nachdem er zum ersten Mal einen Blick in das Grab geworfen hatte, das sowohl mit Alltagsgegenständen wie Möbeln oder zerlegten Streitwagen als auch mit kostbaren Schätzen vollgestopft war. Ein Stuhl, eine Liege, aber auch goldene Finger- und Zehenhülsen, goldene Sandalen sowie ein Kanopensarg aus dem Grab sind mit anderen Grabbeigaben im Völkerkundemuseum ausgestellt. Der berühmte goldene Sarkophag darf Ägypten nicht mehr verlassen, dafür befindet sich nun jener knapp 40 Zentimeter hohe Kanopensarg in Wien, der den Magen des Pharaos enthielt. Die inneren Organe wurden den Leichnamen vor der Mumifizierung entnommen und in kleine Sarkophage gebettet, die jenen glichen, in denen die Mumie selbst beigesetzt wurde.

Damnatio Memoriae

Tutenchamuns kurze Lebensspanne fällt in eine innerhalb der altägyptischen Geschichte besonders interessante Zeit: Er war nämlich der Sohn und Nachfolger von Pharao Echnaton, der den Sonnengott Aton über alle anderen Götter Ägyptens erhob, was viele Forscher für den allerersten Versuch halten, eine monotheistische Religion zu etablieren. In der Zeit Echnatons und seiner Nachfolger kam es zu einer beispiellosen Blüte der Malerei, Bildhauerei und Reliefkunst. Die üblichen typisierenden Darstellungen wichen einem bislang unbekannten Naturalismus, man denke nur an die berühmte Büste der Nofretete, der Frau Echnatons. Auch in Wien sind einige Beispiele dieser so genannten Amarnakunst zu bewundern.

Spätere Herrscher versuchten, die Erinnerung an Echnaton und seine direkten Nachfolger auszulöschen: Ihre Namen wurden aus Inschriften entfernt, ihre Monumente zerstört. Auf einer in Wien gezeigten Tutenchamun-Statue wurde der Name des jugendlichen Pharaos auf der Gürtelschnalle mit dem Namen eines späteren Königs überschrieben. Letztlich aber hat diese Damnatio memoriae wesentlich dazu beigetragen, Tutenchamun unsterblich zu machen: So geriet das Grabmal in Vergessenheit, und über seinem verschütteten Eingang wurden Handwerkerhütten errichtet, die es drei Jahrtausende lang verbargen.

Wie so oft sind es nicht die Schätze, die goldenen Schmuckstücke, die eine ferne Vergangenheit wieder lebendig machen. Vielmehr sind es die einfacheren, alltäglichen Gegenstände, die eine untergegangene Zivilisation vor dem inneren Auge wiedererstehen lassen: zum Beispiel vier Figuren eines hohen Beamten mit gepflegtem Oberlippenbärtchen, die diesen in verschiedenen Lebensaltern zeigen, eine Kopfstütze, wie sie von den Ägyptern statt eines Polsters zum Schlafen verwendet wurde, ein steinerner Toilettensitz. Die Alten Ägypter waren eben Menschen wie wir.

Tutanchamun und die Welt der Pharaonen

Bis 28. September

Museum für Völkerkunde, Wien

www.tut.khm.at

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