Vielfalt und Eigensinn - <strong>Außenseiter-Kunst</strong><br />
Der  Begriff „Art brut“ beschreibt ­eine Kunst abseits der akademischen  Ästhetik. - © Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg

Vielfalt und Eigensinn

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Das Kunstforum Wien rückt mit der aktuellen Ausstellung „Flying High“ die weibliche Seite der Art brut in den Fokus. Kostbare Leihgaben aus aller Welt sind in der Schau versammelt.

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Das Kunstforum Wien rückt mit der aktuellen Ausstellung „Flying High“ die weibliche Seite der Art brut in den Fokus. Kostbare Leihgaben aus aller Welt sind in der Schau versammelt.

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„Flying High – Künstlerinnen der Art Brut“ nennt sich eine von der Kritik ob ihrer Qualität und Vielfalt gefeierte Ausstellung im Kunstforum auf der Freyung. Zu bestaunen sind 300 Werke von nicht weniger als 93 Künstlerinnen, deren Schaffen von der Entdeckung der Kunst von Geisteskranken bis in die Gegenwart reicht. Es handelt sich überdies um die erste „weltumspannende“ Schau dieses besonderen Genres. Es ist gut und wichtig, dass sie gerade in Wien stattfinden kann, das einst Ausgangspunkt der bedeutendsten Schulen der Psychotherapie war.

Die so irritierende wie inspirierende Welt der Außenseiter-Kunst, für die einst Jean Dubuffet den Begriff der „Art brut“ prägte, ist in Österreich vor allem mit Gugging bei Klosterneuburg verbunden, wo seit 2006 in einem ehemaligen Gebäude jener Nervenklinik, in der Leo Navratil in den Sechzigerjahren erstmals ein „Haus der Künstler“ einrichtete, das „Museum Gugging“ untergebracht ist. Namen wie Johann Hauser, August Walla oder Oswald Tschirtner bezeugen, dass dort bis heute fast ausschließlich männliche Künstler gefördert und wahrgenommen wurden. Nicht viel anders war das bis vor wenigen Jahren auch im internationalen Kunstbetrieb.

Im Kunstforum wird nun von den Kuratorinnen Ingried Brugger und Hannah Rieger die bisher verborgene weibliche Seite der Art brut vor den Vorhang gebeten. Die höchst anregende Art der Präsentation führt durch Leihgaben aus den renommiertesten internationalen Sammlungen, die allesamt selbst großen Nachholbedarf bei der Aufarbeitung der Bestände der Werke von Frauen haben. Von Else Blankenhorn (1873–1920) mit ihrer farbenprächtigen Bilderwelt unerfüllter Sehnsüchte über die von Dubuffet geförderte Aloïse Corbaz (1886-1964) bis herauf zur Zeitgenössin Julia Krause-Harder mit ihrer peniblen Nachbildung der Skelette aller bekannten Saurier-Arten reicht der Spannungsbogen höchst eigenständiger Bild- und Werkwelten. Aus Österreich ist Laila Bachtiar mit ihren feinnervigen Zeichnungen prominent vertreten. Sie gehört zu den von Sammlerin Hannah Rieger besonders geschätzten Künstlerinnen.


Schöpferische Parallelwelt

Hannah Rieger hat eine besondere Beziehung zu dieser außerhalb aller herkömmlichen Kategorien gedeihenden schöpferischen Parallelwelt. Die Genauigkeit und Konsequenz ihrer Sammlertätigkeit mag in der Familie liegen, war doch ihr Groß­onkel Dr. Heinrich Rieger – er fiel ebenso wie seine Frau Berta dem Holocaust zum Opfer – einer der bedeutendsten österreichischen Kunstsammler der Zwischenkriegszeit. Wer ihre Sammlung kennenlernen will, besucht am besten die Webpage „Living in Art Brut“, mitsamt einem aufschlussreichen Dokumentarfilm von Helmut Voitl und Elisabeth Guggenberger.

Noch bis zum 23. Juni lassen sich im Kunstforum all die schier unerschöpflichen Varianten der weiblichen Art brut bestaunen, bevor die kostbaren Leihgaben wieder in ihre angestammten Sammlungen in aller Welt zurückkehren.

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