Der Mensch lebt stürzend

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Zwei neue Bücher über den Künstler Goya.

Idiotisch lachende Häscher, zu ihren Füßen gedemütigte Kreaturen, von denen sie sexuelle Handlungen erzwingen: Die Rede ist nicht von Bildern aus dem Irak, sondern von Goya, der solche Szenen in Gefängnissen beobachtet und festgehalten hat. Was Wunder, dass jede Epoche in dem spanischen Maler (1746- 1828) ihre eigenen Abgründe entdeckt und der Strom von Büchern über Goya nicht nur nicht abreißt, sondern immer wieder Neues zu Tage fördert.

Der deutsche Kunsthistoriker Werner Hofmann hatte 2003 in der prachtvoll bebilderten Monografie "Goya: Vom Himmel durch die Welt zur Hölle" der verbreiteten Auffassung widersprochen, Goya sei ein Aufklärer gewesen. Ihm sei es vielmehr um die Grundeinsicht in die conditio humana gegangen, die lautet: "El hombre vive cayendo" - der Mensch lebt stürzend.

Janusköpfiger Künstler

Jetzt liegen zwei Neuerscheinungen vor, die von der nicht erlahmenden Neugier für den janusköpfigen Künstler - Vorläufer der Moderne, Bewahrer alter spanischer Bildthemen - zeugen. Beide Bücher wurden in Ausnahmesituationen geschrieben, nachdem sich die Autoren vorher schon lange mit Goya befasst hatten.

Der australische Kunsthistoriker Robert Hughes verunglückte 1999 auf einer Wüstenstraße in Westaustralien so schwer, dass er dreieinhalb Jahre brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen: "Durch diesen Unfall erlitt ich außergewöhnliche Schmerzen, Furcht und Verzweiflung. Ein Autor, der Furcht, Verzweiflung und Schmerz nicht kennt, kann Goya vielleicht gar nicht in allen Facetten verstehen." Die Engländerin Julia Blackburn hatte daheim eine sterbende Mutter, die in der Tochter fast Unsägliches aufwühlte, während die Tochter für ihr Buch "Der alte Goya" die Schauplätze seines Leben aufsuchte: Nordspanien, Madrid, Paris, Bordeaux. Die karge Landschaft Aragons etwa, wo noch heute Flagellanten in der Karwoche barfuß durch die Dörfer ziehen, inbrünstig betend und mit schweren Kreuzen beladen, bot Frau Blackburn einen Verständnisschlüssel für Befremdliches in Goyas Grafiken. Dennoch: Mit ihrer allzu empathischen Methode "Ich stelle mir vor, wie Goya ..." galoppiert ihr Phantasie-Pferd häufig durch und der Erkenntnisgewinn bleibt gering. Außerdem: Wenn sie von seinem Verhältnis zu seiner um 42 Jahre jüngeren Geliebten spricht, vergisst sie nicht den Zollstock der Moral. Und der ist zu kurz für das Genie.

In politischen Wirren

Von anderem Kaliber ist Robert Hughes' Goya-Buch. Nachdem er deutlich gemacht hat, wie sein Werk entstanden ist, drängt er sich nicht mehr in den Vordergrund. "Der Künstler und seine Zeit" lautet der Untertitel. In Goyas langem Leben ging es mit Spanien ständig bergab. Die politischen Wirren - unfähige Könige, Napoleons Einfall in Spanien, Bürgerkrieg, Hungersnot, Wiedereinführung der Inquisition, Auszug großer Teile der kleinen spanischen Geisteselite nach Frankreich - erzählt Hughes mit breitem Pinselstrich. Scheinbar mühelos stellt er bei uns kaum bekannte Zusammenhänge zwischen spanischer Großmannssucht und ökonomischer Inkompetenz her. Den erschütternden Niedergang der einstigen Weltmacht hat Goya in zwei getrennten Welten festgehalten: Einerseits als königlicher Hofmaler in zahlreichen offiziellen Porträts der Herrscherfamilie. Die Königsporträts wurden lange falsch gesehen, nämlich als kritischer Kommentar zu Dummheit und Präpotenz der spanischen Bourbonen, was nachweislich nicht stimmt. Kein König und keine seiner Gemahlinnen hat sich je über die ungeschminkte Wahrheit, ja Hässlichkeit beschwert, mit der er sie malte. Zu dieser "offiziellen" Seite gehörte auch seine Arbeit für die katholische Kirche. Goyas religiöse Bilder zeugen von tiefer Frömmigkeit. Diese hinderte ihn nicht, in seinem grafischen Werk den schärfsten Kommentar zu Missständen in der Kirche und der spanischen Gesellschaft zu geben: Scheinmoral der Priester, Inquisition, Vergewaltigung, Brutalität gegen Geisteskranke ... Er zeigt den Naturzustand der Menschheit, der nichts zu tun hat "mit den blassen Phantasien vom natürlichen Gutsein und von vorurteilsloser Freundlichkeit, in denen die französische Aufklärung schwelgte."

Gefängnis des eigenen Ich

Ab dem 46. Lebensjahr war Goya gefangen im "stummen Gefängnis des eigenen Ich" - er ertaubte völlig. War einzig auf die Augen angewiesen. Und da lehrt der australische Kunsthistoriker schauen - mit Goyas Augen. So elegant-großzügig er historische Zusammenhänge erfasst, so detailreich führt er den Leser zu Goyas Bildern und grafischen Arbeiten. Keine Behauptung, die der Leser nicht anhand der vorzüglichen Abbildungen überprüfen könnte. Kein Fachjargon, wohl aber die so dringend nötige Erklärung der ungeheuer schwierigen Techniken, deren sich der Künstler bediente. Wer von Goya bereits etwas weiß, wird mit vielen neuen Einsichten belohnt, z. B. dem bisher nie hervorgehobenen Zusammenhang mit den großen englischen Karikaturisten, die der Spanier in einer Privatsammlung kennenlernte. Wer eine erste Einführung sucht, wird sie auf den 450 Seiten finden. Wer erfahren möchte, wie Goya bis heute auf andere Künstler wirkt, wird fündig werden. Dieses Buch ist trotz seiner Länge an keiner Stelle bleiern, es ist politisch aktuell und lässt einen der ganz Großen der abendländischen Kunst in seinem Facettenreichtum lebendig werden: Abgründe tun sich auf.

Der alte Goya

Von Julia Blackburn. Aus dem Englischen von Barbara Schaden

Berlin Verlag, Berlin 2004

256 Seiten, geb., e 22,70

Goya - Der Künstler und seine Zeit

Von Robert Hughes. Translation published by arrangement with Alfred A. Knopf. Blessing Verlag, München 2004 446 Seiten, geb., e 51,20

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