Da grinst die Bestie Mensch

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Zur umfangreichsten Goya-Ausstellung, die je außerhalb Spaniens gezeigt wurde, kann das Kunsthistorische Museum dieser Tage den 100.000. Besucher begrüßen.

Fünfzehnmal hat Goya sein eigenes Gesicht gemalt, gezeichnet, radiert. Gleich im ersten Saal der Goya-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum begegnet man einem Selbstporträt: Es ist eines der letzten, zeigt den 69 Jahre alten Künstler. Er malte sein Gesicht faltenlos und doch erschöpft. Der dunkle Hintergrund entfaltet sich als gespenstischer Wirbel aus Schatten und Licht. Die Augen sind die eines Menschen, der zu viel gesehen hat; während er den Betrachter anblickt, scheint er gleichzeitig nach innen zu schauen, Bilder des Grauens nicht verdrängen zu können.

Spanien durchlitt während der langen Lebenszeit Goyas - er starb 1828 mit 82 Jahren - die Besetzung durch Napoleons Truppen, einen Bürgerkrieg, eine Hungersnot, eine Typhusepidemie, Verelendung. Nicht genug damit, wurde nach der Vertreibung der Franzosen das politische Rad zurückgedreht. Ein bornierter König (Ferdinand VII.) kam wieder auf den Thron, setzte die Inquisition wieder ein, strengte Prozesse gegen Liberale an; wirtschaftliche Agonie und geistige Erstarrung folgten. Der Künstler Goya, mit 46 Jahren nach einer Erkrankung völlig ertaubt, kommentierte in seiner Kunst die Barbarisierung seines Landes.

Rembrandt, Velasquez ...

Dabei blieb es nicht: Das Böse, Tierische, Gemeine sah er als dem Menschen eingeboren. "Der Mensch lebt fallend, stürzend", war eine Grundeinsicht des bis ins hohe Alter immer Lernenden, Experimentierenden. Das in Wien gezeigte Selbstbildnis aus dem Prado in Madrid verrät eines seiner drei großen Vorbilder: Rembrandt, der ebenso gnadenlos neugierig den eigenen Verfall auf die Leinwand bannte.

Der zweite große Meister Goyas hängt mit vielen wundervollen Beispielen im khm: Velázquez. Als junger Kupferstecher fertigte Goya von den über 50 Gemälden Velázquez' in den Palästen von Madrid 19 Radierungen an: Zwerge, Hofnarren, Habsburger-Porträts. Ein Höhepunkt der Wiener Schau ist ohne Velázquez nicht denkbar: Das Kinderbild Manuel Osorio Manrique Zúniga. Ein kleiner Adelssprössling in kindgerechtem Strampelanzug (was für ein Rot!), ohne die früher obligate Perücke, hält an einer Schnur eine Elster, die Goyas Visitkarte im Schnabel trägt. Hinter dem Kind und dem Vogel lauern drei glutäugige Katzen. Goya erzählt immer, manchmal reportageartig, dann wieder hintergründig, grausam, doppeldeutig.

Die Wiener Ausstellung ist unter ungeheuren Anstrengungen endlich, nach zehnjähriger Vorbereitungszeit, zustande gekommen und kann selbst spanischen Besuchern Neues bieten, weil viele private Leihgeber sich von Bildern getrennt haben, die man auch in Spanien noch nie gesehen hat. Sie trägt zu Recht den Titel "Prophet der Moderne". 70 Gemälde, 35 Zeichnungen und elf Tapisserien führen in ein Universum der Mehrdeutigkeit: Hier der opportunistische Hofmaler, begierig nach Ruhm und Anerkennung: Er malte seinen König, und als dieser vertrieben worden war, dessen Feinde, die französischen Eroberer. In den gleichen herrlichen Farben, derselben für ihn so charakteristischen Lichtführung. Oft vollendete er Gemälde in der Nacht; als Lichtquelle dienten ihm brennende Kerzen, die er auf seinen Hut steckte.

... und die Natur

Das dritte große Vorbild Goyas war die menschliche Natur. Was sie ihn lehrte, hielt er vor allem zeichnend und gravierend fest. Vieles davon behielt er zeitlebens in der Schublade, aus Angst vor der Inquisition. Vorzügliche Beispiele für seine kritischen Aussagen zu korrupten Geistlichen, heuchlerischen Intriganten, kupplerischen Vetteln, Vergewaltigern, Mördern, im Schmutz verkommenden Wahnsinnigen sind in Wien zu sehen: Dem Propheten der Moderne ging es nicht um Schönheit, sondern um Wahrheit.

Für Neugierige bleibt eine Reise nach Madrid dennoch unerlässlich, denn von den überragenden Werken, besonders der Spätzeit, kann und darf sich der Prado nicht trennen. Dennoch: Diese umfangreichste Goya-Ausstellung außerhalb Spaniens, die es je gegeben hat, bietet Einblick in die Entwicklung vom gläubigen Kirchenmaler über die Jahre, in denen er für königliche Paläste Tapisserie-Entwürfe schuf (die ausgeführten Tapisserien zeigen, wie schwer es war, Goyas Farbmeisterschaft und Licht in ein anderes Medium zu übertragen). Schon in diesen strahlenden ländlichen Idyllen lauert das Dunkel, sind die Bilder Metaphern des schönen Scheins.

Goyas realistische Porträts

Dann die Porträts: Noch immer geistert die irrige Auffassung durch die Medien, die Porträts, die der Hofmaler für seine königlichen Auftraggeber gemalt habe, seien hohnvoll, kritisch. Falsch. Erstens war er auf das Einkommen angewiesen, das er aus der königlichen Schatulle erhielt, und zweitens war er ein Realist. Die Herrschaften sollen nach Augenzeugenberichten noch viel hässlicher, dümmer, gewöhnlicher ausgesehen haben, als er sie dargestellt hat. Goya ist auch hier ein moderner Künstler: Er wollte von der öffentlichen Hand bezahlt werden, gleichzeitig verlangte er künstlerische Freiheit und Selbstbestimmung.

Der Höhepunkt freilich sind in Wien die Zeichnungen: Eine geistige Herausforderung noch heute, sie entschlüsselnd zu lesen. In ihnen ist die europäische Moderne in all ihrer Abgründigkeit vorweggenommen: nachtseitig, exzessiv, pervers. Da gibt es keine Befriedigung ästhetischer Sehnsucht, da grinst die Bestie Mensch: Goya bannte sie.

Francisco de Goya 1746-1828

Kunsthistorisches Museum

Maria Theresien-Platz, 1010 Wien

Bis 8. 1. 2006 Di-So 10-18, Do 10-21 h

Goya exklusiv: Sa, So 19-22 Uhr

Infos dazu: www.khm.at

Die Autorin hält am Freitag

2. 12. um 19 Uhr im Spanischen Kulturinstitut, Schwarzenbergplatz 2/2. Stock, 1010 Wien

einen Vortrag über Goya.

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