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ERINNERUNGEN AN HERMANN BAHR

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Seitdem Hermann Bahr von Wien nach Salzburg übersiedelt war, hat mein Mann, Josef Redlich, ihn jedes Jahr dort besucht. Er lebte mit seiner Frau Anna Bahr-Mildenburg und deren Faktotum Jenny in dem etwas außerhalb der Stadt gelegenen Arenberg-Schlößl.

Ich hatte im Jahre 1919 geheiratet und wurde im Sommer 1920 zum erstenmal nach Salzburg mitgenommen und mit Hermann Bahr bekannt gemacht. Im großen, hellen Wohn- und Arbeitsraum des Hauses trat uns das Ehepaar entgegen und begrüßte uns freundschaftlichst. Unvergeßlich bleibt mir der erste Eindruck von Anna Bahr-Mildenburg in langem, wallendem, wohl etwas theatralischem Gewand, von Hermann Bahr mit langem, weißem Bart und kurzen Lederhosen. Seitlich stand die hohe Staffelei mit dem herrlichen Gemälde von Klimt: „Der Frühling." Mein Mann und ich blieben damals wohl eine Woche in Salzburg, wohnten im österreichischen Hof und sahen Hermann Bahr fast täglich. Meist . speisten wir gemeinsam beim „Steinlechner“ in Parsch, unternahmen auch ausgedehnte Spaziergänge, so einmal einen Ausflug auf den Gaisberg, wobei köstliche, geistreiche Gespräche mit Hermann Bahr voll Humor, Zynismus und paradoxen Aussprüchen den steilen Aufstieg würzten. Anna Bahr-Mildenburg hat mir auch öfter ihr überdimensionales Fahrrad geborgt, auf welchem ich, trotz heftiger Einwendungen der beiden Herren, diese ihren Gesprächen überließ und Stadt und Land Salzburg durchquerte.

Allgemein war bekannt, daß Hermann Bahr täglich um fünf Uhr früh der heiligen Messe in der Franziskanerkirche beiwohnte und dort öfter von Fremden beobachtet und aufgesucht wurde. Auch wir haben ihn einmal zu einem Morgenspaziergang dort abgeholt. Andächtig kniete der alte Mann mit weißem Bart und Lederhosen seitwärts, tief versunken im Gebet, ohne von seiner Umgebung Notiz zu nehmen.

Sein Besuch in Wien zur Zeit der Burgtheaterkrise Anfang der Zwanzig er jahre bleibt auch mir unvergeßlich. Mein Mann und ich saßen im kleinen Arbeitszimmer unseres Hauses in Döbling, als der unangesagte Besuch von Hermann Bahr gemeldet wurde. Es war eine freudige Überraschung und ein ungewohnter Anblick: Hermann Bahr im Stadtgewand, gestreifter Hose und Jacket. Es war ein verbitterter, von Zornesausbrüchen sprühender Hermann Bahr, der da saß und sich über das Vorgehen von Freunden und Behörden beklagte, die ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Wien berufen hatten. Trotz aller Bemühungen meines Mannes kam es nicht zur Ernennung von Hermann Bahr zum Burgtheaterdirektor. Gekränkt und erbost verließ er Wien und zog sich nach München zurück. Seiner Frau zuliebe, die dort engagiert war, mußte er ein neues Heim beziehen.

Josef Redlich hat ihn dort öfter, ich nur einmal besucht. Mir schien, daß sich der alte Mann nicht sehr glücklich fühlte. Die Räume der Wohnung waren zu klein und eng für zwei so große Menschen, Faktotum Jenny hat es dort auch nicht gefreut. Die täglichen Spaziergänge im Englischen Garten waren einziger „Auslauf“ und Kontakt mit der Natur für Hermann Bahr. Natürlich hat ihn jedes Kind bald dort gekannt und gegrüßt. Gemeinsam besuchten wir die Pinakothek, und als wir vor einem Bild der alten Germanen mit einer rothaarigen Frau standen, nannte er mich sofort und seither Frau Thusnelda, was ihm großen Spaß machte. Er hatte eine besonders charmante Art mit Frauen, konnte hinreißend liebenswürdig und amüsant sein, mit verschmitztem Augenzwinkern.

In den Münchner Jahren war Hermann Bahr Mitarbeiter beim „Neuen Wiener Journal“, in welchem täglich seine „Tagebuchnotizen“ erschienen, Glossen zu allen Fragen der Kunst, Literatur und Politik. Als mein Mann 1926 nach Amerika an die Harvard-Universität berufen wurde, gab es einen schmerzlichen Abschied zwischen ihm und Hermann Bahr, dafür aber eine ausgedehnte Korrespondenz. Von Arbeit, vielerlei Anstrengungen und Enttäuschungen waren die Kräfte beider Freunde arg beansprucht. Sie sahen sich noch kurz da und dort auf einer Durchreise Zur Sommerszeit und starben bald nacheinander um die Mitte der dreißiger Jahre.

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