6561497-1948_50_13.jpg
Digital In Arbeit

Erntedank in der Volkskunst

Werbung
Werbung
Werbung

Das steirische Volkskundemuseum am Fuß des Grazer Schloßberges birgt in diesen Wochen eine Sonderausstellung, deren Stücke Dozent Dr. Hanns Koren in allen Teilen des Landes gesammelt und zu einer ariziehenden Schau vereinigt hat. Die Ausstellung, die in der ebenfalls von Koren geschaffenen Museumshalle für die bäuerlichen Ackergeräte eingeflochten ist, nennt sich „Steirischer Erntedank, Zeugnisse lebendiger Volkskunst”. Es sind Erntekronen, Kränze, Gewinde, Monstranzen, Engel- und Heiligengestalten, Kirchlein und Kapellen, Wappentafeln und christliche Symbole; in monatelanger Arbeit sind sie mit unendlichem Fleiß und mit überraschendem Geschmack an den Abenden nach schwerer Tagesarbeit von den bäuerlichen Menschen als Opfergaben für die kirchlichen. Erntedankgottesdienste zu phantasievollen, färb- und formschönen Gebilden zusammengesetzt worden, aus Kürbis- und Maiskörnern, aus Ähren und Fruchtkolben, aus Äpfeln, Birnen, Trauben, Möhren, Rettichen und anderen Feld- und Gartenfrüchten.

Die Ausstellung, die sich unter alten Pflügen, Körben, Dreschflegeln, Heurechen und Putzmühlen besonders schön und heimelig ausnimmt, erfeut sich eines außerordentlichen Erfolges. Viele Besucher kommen begeistert zu uns und sind ergriffen von der kindlichen, trauten und herzwarmen Sprache, die sie aus jenen schlichten Gebilden anspricht wie ein Volkslied oder ein Märchen. Viele betonen, daß sie das Geschaute mit Trost und Mut erfülle, weil es ein beredtes Zeugnis dafür ab lege, daß echte Volkskunst doch noch lebendig sei.

Es sind zwei Tatsachen, die jenes Empfinden berechtigen: einmal, daß diese lieblichen Opfergebilde noch und daß sie wieder da. sind, und zum zweiten, daß sie ohne jeden Befehl, ohne jede Organisation und Propaganda in so reicher Menge auftauchen.

An und für sich sind Opfergaben aus Feldfrüchten ja uralt, sie kommen schon in den ältesten Büchern der Bibel vor und gehören wohl zu den Elementargedanken der Menschheit. Aber auch als „Erntekranz”, Erntekrone, als tier- oder menschenförmig gestaltete „letzte Garbe”, als Hafergarbe, Stroh- und Erbsenbär, als „Weinbeergeiß” usw. gehören solche Gebilde der Volkskunst und des Volksbrauches an sich zu sehr alten Erscheinungen, wenn auch vieles in ihren heutigen, besonders in ihren österreichischen Formen vom kirchlichen Barock der Gegenreformationszeit beeinflußt sein mag. Aber über dieses rein kulturgeschichtliche und volkskundliche Interesse hinaus kommt —• wie wir meinen — ihrem seit dem Vorjahre zu beobachtenden schlagartigen und besonders reichen Wiedererstehen noch eine viel allgemeinere und sehr erfreuliche Bedeutung zu.

Wir sehen sie darin, daß sich in ihnen, ganz gleich wie in den seit zwei Jahren ebenso plötzlich und in überraschender Anzahl wieder erstandenen bäuerlichen Osterfeuern, ein Wiedererwachen der Volkskul-i t u r ankündigt, das ganz „von selbst”, ohne jede Anregung kirchlicher oder weltlicher Behörden, aber auch ohne partei- oder vereinsmäßige Organisation überall gleichzeitig einsetzte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung