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Die "Gesammelten Gedichte" präsentieren einen Querschnitt durch das lyrische Schaffen Thomas Klings.

Seit dem Tod des großen Lyrikers Thomas Kling im April 2005 sind bereits fast drei Jahre vergangen. Dass seine Gedichte nach wie vor präsent sind, zeigt, wie wichtig und bahnbrechend sie für die Entwicklung der deutschsprachigen Lyrik sind. Zu Recht wird Kling in der Medienlandschaft neben Jandl, Mayröcker oder Celan bereits in die Reihe der großen Dichter eingereiht, die auf dem Gebiet der Lyrik Experimentelles und Innovatives geleistet und die jüngere Generation geprägt haben.

Die im DuMont-Verlag erschienenen "Gesammelten Gedichte" von 1981-2005 präsentieren Klings lyrisches Œuvre, ein komplexes Kompendium, das sowohl sämtliche Einzelbände als auch Gemeinschaftspublikationen mit seiner Frau Ute Langanky vereinigt. In einem Nachwort begründen die beiden Herausgeber, der Autor Marcel Beyer und Klings Lektor Christian Döring, die zeitlich eingegrenzte Auswahl der Texte, die den Wünschen und literarischen Vorstellungen des Schriftstellers folgt.

Thomas Kling war ein Sprachvermesser, ein Wortmächtiger und Sprachschöpfer, der seine Spuren kreuz und quer in die Geschichte, vornehmlich in die alte Literatur und von hier in die Gegenwart auslegte. Seine Gedichte sind nicht denkbar ohne seine Stimme, die die oft schwer zugänglichen Texte bei Lesungen in einem neuen Licht erscheinen lassen. Der Verlag hat es sich zur Gewohnheit gemacht, viele Bände mit Tonträgern zu publizieren, um dem sich hinter seinen Texten wölbenden Klangraum Rechnung zu tragen.

Klings Gedichte zerteilen die Sprache, schneiden in die Fasern des sprachlich Einverleibten und vernetzen die Worte neu entlang der Linien einer "Höchstfrequenzsprache": "unsere augen tragen sprachamputate / vor sich her durch einbahnstraßen / sackgassen." Die Konsequenz seiner Alltagsbeobachtung zeigt sich auch in persönlichen Begegnungen, wie zum Beispiel in der mit seinem kranken Vater, der ihm in der Annäherung zugleich auch entgleitet und nur in Spuren fassbar wird, was Kling durch das Wegbrechen einzelner Buchstaben und durch absichtliche Brüche in der Syntax eines bloß torsohaften Textes symbolisiert. "die schlotternde gestalt / meines vaters nähert sic / mit über den balkon eine / modernen krankenhauses; / mein vater schleppt das / gelb seines kranken körp / seines eingesunkenen kop / seinem sohn entgegen; ei …" Sein Blick dringt in die Tiefe, seziert, seine Wahrnehmung bündelt auch das am Rand Liegende, das dem Flaneur zu entgehen droht: "EINS, STOCK-IM-EISN-/platz darauf das chrysanthemen-/teepee, wassergespeist; langsam ge/streichelte augen … dahinter die / sandler, arge bezichtigung (in 1); / unsicher, in die gesichter geschwan / kt die flachn hände, hergestotterte / alkoholikerfaust; die zwitschern / in kodakkolor fiakergäste; …" Kling legt Skorbut und Brand offen, entkernt die Geschichte, indem er ihre dunklen Flecken ins Licht stellt. Einer seiner Bände trägt den Titel "Sprachspeicher", aber auch er selbst verfügt über ein Wissensdepot, das Seinesgleichen sucht. Konserviert sind da Literatur und alte Sprachen, aber auch die Koordinaten hinsichtlich der großen historischen Zusammenhänge. Kurze Verse werden zum "sekundn bonsai", Haikus über Mythen, wie über Siegfried: "siegfriedlinie. Letales polaroid 1 // glattgold di sonne; / gib lind mir deine schulter! / zielender hagen". Dem germanischen Mythos schnalzt er ein zweites letales Polaroid entgegen, dessen Enden er in der Gegenwart verhakt: "waffngeschäfte./ drei neue in wupptertal." / "sehr schön; bald knalltes."

Besonders berührend sind Klings letzte Gedichte aus dem Band "Auswertung der Flugdaten", in dem er im Zyklus "Gesang von der Bronchoskopie" über seine Lungenkrebserkrankung und seine Krankenhauserfahrungen schreibt. Todesahnungen schwingen sich in die dichte Lyrik, die die Untersuchungen mit der Welt des Bergbaus in Verbindung bringen, den Blick abblenden in den "Lungenschacht" seines Körpers: "so rollige bergart - es rieselt, / rollert stärker schon, abschleiernde fähnchen / sandiges schleiern, macht sich bemerkbar, // husten, / knirschen. / husten bersten lungenstich // die firstenzimmerung / bricht ein - …" Keine normale Visite, sondern eine Freilegung von Schichten und Schächten, "poetische" radiologische Bilder für die Untersuchungen, die fortan sein Leben bis zu seinem Tod prägen.

Thomas Kling ist tot. Seine Lyrik ist eine fruchtbare Bereicherung inmitten der Gegenwartsliteratur. Der Gedichtband leistet einen wichtigen Beitrag dazu!

Gesammelte Gedichte (1981-1995) Von Thomas Kling

Hg. von Marcel Beyer und Christian Döring. DuMont Verlag, Köln 2006

976 Seiten, geb., € 70,-

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