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Alte Laster leben weiter

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Der Sozialismus ist als historische Kraft im Kampf gegen den Kapitalismus und die Reste der feudalen Gesellschaft großgeworden und hat diesen Mächten und den durch sie geprägten Haltungen einen entschlossenen Kampf angesagt. Es ist der Sozialdemokratie auch gelungen, die bekämpften Mächte zurückzudrängen und deren Auswüchse zurechtzustutzen.

Allerdings war und ist der Sozialismus nicht imstande, das einzulösen, was er historisch verheißen hat: Die Schaffung einer alternativen, allem Bisherigen überlegenen Ordnung. Mit dieser Unfähigkeit hängt auch zusammen, daß der Sozialismus und seine Repräsentanten vielfach der Versuchung erlegen sind, die ursprünglich bekämpften Haltungen zu übernehmen und nachzuahmen, die „Laster der Unterdrückten", von denen einst Ferdinand Lasalle gewarnt hat, aber auch die der Unterdrücker nicht nur nicht zu vermeiden, sondern noch zu überbieten, ohne eine ähnliche Stellung als Kulturträger und Mäzene einzunehmen wie die herrschenden Klassen von ehedem.

So kann es geschehen, daß ein sozialistischer Gewerkschaftspräsident eine großzügig geförderte Luxuswohnung bezieht und ein der Gewerkschaftsbewe-

Šung entstammender Bankpräsi-ent wenigstens den Anschein des Nepotismus aufkommen läßt. Die Spitzen der sozialistischen Gesellschaft vergleichen sich aber nicht mehr mit den Arbeitern und ehemaligen Schicksalsgenossen, sondern mit den Höchstrangigen, zu denen sie mit allem Drum und Dran gehören wollen, ohne dabei auch nur ein schlechtes Gewissen zu zeigen. Sie sind vielmehr der Meinung, daß ihnen all diese Privilegien als selbstverständlicher Tribut an ihren Aufstieg zustehen.

Wenn sich solche Erscheinungen in einer Zeit wachsender Arbeitslosigkeit breitmachen, darf man sich nicht wundern, wenn sich die noch in bescheidenen Verhältnissen lebenden Arbeiter durch solche Nutznießer nicht mehr vertreten fühlen und abwandern. Denn wenn die Form der Präsentation, die gegen solche Erscheinungen gerichtet ist populistisch und demagogistisch ist, bedeutet dies auch, daß der Kampf gegen Filz und Privilegien deswegen unberechtigt ist?

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