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Gebt ihm Freiheit und Frieden!

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In diesen Tagen vor Weihnachten 1963 ging eine Nachricht durch die Presse: Baldur von Schirach wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Der ehemalige Führer der Hitlerjugend und Reichsstatthalter von Wien ist immer noch ein Gefangener der Alliierten des zweiten Weltkrieges in Spandau. Eine Freilassung kann nur durch eine Übereinkunft der vier Mächte erzielt werden. Diese Mächte haben sich in den langen, krisenschweren Jahren nach dem Nürnberger Prozeß in vielen großen und kleinen Sachen gestritten und zerstritten und in einigen kleinen und auch größeren Sachen geeinigt. Der Fall Schirach gehört nicht zu den Fällen, die heute die Politiker und Staatsmänner und Generäle in Ost und West erhitzen. Fast wirken er und die anderen „Spandauer“ wie „Übersehene“.

Wir hier in Wien sollten ihn nicht übersehen. Österreich soll sich in dieser Weihnacht denen anschließen, die für seine Freilassung plädieren. Nicht aus falscher Sentimentalität, nicht aus einem Vergessen des Unvergeßlichen, sondern als Ausdruck schlichter Menschlichkeit. Wir wünschen dem gealterten, kranken Mann den Frieden und die Freiheit, die das Regime, das er zuletzt in Wien vertrat, so vielen von uns genommen hat.

Laßt ihn in Frieden seine Wege gehen: in einer Welt, die nie mehr in eine Barbarei zurücksinken wird, wie sie 1945 durch die Befreiung von uns genommen wurde — es sei denn, durch unser aller Mitschuld.

„Die Furche“ erneuert in diesem Sinn den Appell, den sie schon einmal in einem Leitartikel an die Öffentlichkeit und alle, die es angeht, gerichtet hat: Amnestiert Baldur von Schirach! Da dieser Appell heute wohl vor allem an die Adresse Moskaus zu richten ist, hat es wohl Sinn, daran zu erinnern: Moskau und die Russen haben heute andere Feinde und Gegner, die sich großer Freiheit erfreuen, als den Gefangenen in Berlin. Es sollte den Russen von heute nicht schwerfallen, diesen einen aus der großen Schar der vielen, die vor mehr als zwanzig Jahren gegen sie zum Kriege riefen, zu pardonieren.

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