Abgründe der Seele

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Angesichts der Zustände in Frankreichs Vorstädten entpuppt sich Michael Hanekes eiskaltes Meisterwerk "Caché" auch als Seismograph der Gesellschaft.

Wenn es eines Beweises bedürfte, wie Kunst zum Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen wird, dann kann Michael Hanekes "Caché" dafür herhalten: Die geschichtliche Folie, auf der sich der verstörende Plot des Films entwickelt, ist die verdrängte Geschichte des Algerienkonflikts der 50er und 60er Jahre, im Speziellen das Massaker von Paris 1961, wo 200 algerische Immigranten bei einer friedlichen Demonstration gegen den Algerienkrieg von der Polizei und Armee erschossen wurden (vgl. Seite 2, 3 dieser Furche). Ein durch diese Ereignisse zur Waise gewordener Immigrantensohn spielt eine geheimnisvolle Rolle im beängstigenden Vexierspiel, in das Haneke seine Zuschauer auch in "Caché" hineinnötigt.

Die gegenwärtigen Unruhen in den französischen Satellitenstädten machen deutlich, wie sehr Haneke da eine Wunde getroffen hat, interessant, dass der Regisseur aus dem gerade in Frankreich als "Verdrängungsmeister" gebrandmarkten Österreich diesbezüglich der Grande Nation den Spiegel vorhält.

Dennoch ist "Caché" kein klassischer Politthriller, sondern vielmehr ein klassischer Haneke-Film, der das Innenleben der Protagonisten eiskalt seziert und gleichzeitig nichts erklärt und löst, was beruhigen könnte. Auch die - typisch - ebenfalls grausige Verfilmung eines Selbstmordes erspart Haneke wieder einmal nicht. Dazu kommt, dass der Regisseur das Ganze auf hochauflösendem Video gedreht hat, was zum weiteren Aspekt seines Verwirrspiels wird: Aufgrund dieser Technik kann ein Fernseh- oder Videobild im Film nicht mehr vom eigentlichen Film unterschieden werden - sodass die eingespielten Video- und tv-Szenen wie die anderen Filmszenen daherkommen.

Daniel Auteuil gibt in Caché den tv-Moderator Georges Laurent, der eine literarische Talkshow präsentiert. Aus der bürgerlichen Idylle seiner Familie mit Ehefrau Anne (Juliette Binoche) und Sohn Pierrot wird ein beklemmendes Drama, als ein Unbekannter Videobänder, die das Privatleben der Laurents zeigen, schickt.

Georges vermutet Majid, jenen beim Massaker von Paris zur Waise gewordenen Immigrantensohn, als Urheber dieser Videoverfolgung, und taucht sich, seine Familie und die Zuschauer mehr und mehr in verstörende Verstrickungen privater und gesellschaftlicher Vergangenheit und Gegenwart ein. Die Familie kann sich der diffusen Bedrohung ebensowenig entziehen wie das Publikum, das Haneke überdies am Ende mutterseelenallein zurücklässt.

All das tut der Film auf exzeptionelle Weise. Haneke wurde dafür in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet und ist gleich siebenmal für den diesjährigen Europäischen Filmpreis nominiert. Zu Recht: Einmal mehr ist ihm ein bestürzendes Meisterwerk gelungen.

CACHÉ

F/Ö/D/I 2005. Regie: Michael Haneke. Mit Juliette Binoche, Daniel Auteuil, Maurice Bénichau, Annie Girardot. Verleih: Filmladen. 117 Min.

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