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1001 Nacht + 1 Savary ...

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Das schöne Freiburg, in Deutschlands südwestlichster Ecke gelegen, hat nicht nur ein französisches Kulturinstitut, ein französisches Lyzeum und eine französische Garnison mit ständig dort residierendem General, sondern auch immer wieder französiche Gastspiele aller Art. Trotzdem können es die Städtischen Bühnen Freiburg als Auszeichnung betrachten, daß Jerdme Savary (in Wien wohlbekannt durch seinen vor zehn Jahren gegründeten „Grand Magic Circus“ mit „Von Moses bis Mao“ und „Les Grands Senti-ments“) zum ersten Mal eine seiner Produktionen mit deutschen Schauspielern erarbeitet hat und außerhalb von Paris uraufführen ließ.

„Sieben Wochen lang“, so sagte Sa-vary kurz vor der Premiere, „haben wir gemeinsam gelacht und geweint, getanzt und Musik gemacht, und vor allem: wir haben uns Geschichten erzählt.“ Diese stammen aus der unübertrefflichsten, die Phantasie immer wieder stimulierenden arabischen Märchensammlung „1001 Nacht“, die so prominente Autoren wie Stendhal und Hofmannsthal zu den schönsten Büchern der Weltliteratur zählten. „In diese Welt“, so sagte Savary, „sind wir eingetaucht wie in den Dunst einer Opiumpfeife und haben versucht, etwas davon auf die Bühne zu bringen.“ Aber Savary wäre nicht der, der er ist, wenn er sich mit dem Nur-Märchenhaf-ten begnügt hätte. Wie in seinen früheren Kreationen dominiert auch hier die Ironie, vor der nichts verschont bleibt. Das hat man ihm oft, besonders in Deutschland, zum Vorwurf gemacht. Aber ist nicht Ironie die stärkste Waffe des Theaters, von Aristophanes über Shakespeare und die Commedia dell'arte bis Nestroy, Horväth und Brecht?

Savary bedient sich gern bekannter Stoffe, um seine Phantasie freier und intensiver spielen zu lassen - und trotzdem vom Publikum verstanden zu werden. So auch in seiner neuesten Produktion, in der er die Figuren Ali Baba, Sindbad, Aladin und Schehe-rezade in einer Straße von heute, der Pariser Rue Medina, agieren läßt. Der Bühnenbildner Michel Lebois, der mit Savary schon 10 Jahre lang zusammenarbeitet, nützt seine Chance, und in der Tat findet ein phantasiebegabter Künstler in „1001 Nacht“ fast unbegrenzte optische Anregungen und Möglichkeiten.

Aber Ironie und Persiflage kommen, außer vom Textbuch, das Savary - wie immer - selbst schrieb und das von Astrid Fischer-Windorf und Jean-Louis Marie ins Deutsche übertragen wurde, hauptsächlich durc\die vielen, vielen Kostüme von Michel Dussarat zum Ausdruck. Hierin und in der Ausstattung des Bühnenbildes überpurzeln sich die Einfälle, und die flotte Musik von Francois Orenn, für kleines Instrumentalensemble gesetzt und vom Komponisten geleitet, trägt sehr dazu bei, daß die drei Stunden, die das Riesenspektakel dauert, wie im Flug auf einem Zauberteppich vergehen.

Obwohl Savary nicht tiefenpsychologisch interpretiert oder soziologi-siert, ist die Verbindung zur Gegenwart vor allem dadurch gegeben, daß das Geld eine dominierende Rolle spielt. Doch das tut es ja, auf eine erbarmungslose Weise, auch in den Märchen, Erzählungen und Schwänken von „1001 Nacht“. Aber die wichtigsten Impulse kamen an diesem Premierenabend von den Schauspielern der Städtischen Bühnen, denen es offensichtlich Spaß machte, einmal ganz anders, nämlich freier und improvisatorischer zu spielen als sonst, das Jahr über.

Savary benötigt für die vielen Szenen und Personen nur 18 Schauspieler und Schauspielerinnen, von denen jeder bzw. jede je 5 bis 15 Rollen zu spielen hatte. So etwa war Marty Beck nicht nur Haremsdame und Geliebte des Meergeistes, Gast bei Sindbad, Schlange, Räuber, Enkel und Dienerin Aladins, sondern auch Dame in der Metro von Paris, Can-Can-Tänzerin, Gerichtspublikum, Leiche und Menschenfresser!

Savary war mit „seinen“ Schauspielern sehr zufrieden und lobte sie als begabt und willig. Aber die Arbeitsmethoden des deutschen Theaters sind ihm fremd. Diese Schauspieler müssen „zuviel abliefern“, sagt er, „und haben daher an dem, was sie machen, gar keinen Spaß mehr.“ Sie stehen dauernd unter dem Streß des Spielplans und anspruchsvoller, zuweilen wohl auch pedantischer Regisseure: „Ich frage mich dauernd, wie es kommt, daß die Schauspieler nicht so arbeiten wie in meinem Zirkus. Vielleicht profitieren diejenigen, mit denen ich probierte, von der Art, wie ich Theater mache und wie sie ja in Deutschland völlig ungewohnt ist.“ Nun, auf diese offene Frage gäbe es vielerlei Antworten. Hoffentlich löst der Regisseur Savary nicht eine Revolte der Schauspieler aus ...

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