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An der Moldau

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Er ist auch und gerade im “Westen kein Unbekannter, der knapp vierzigjährige Sohn eines Prager Besitzbürgers, dem die berühmte „Lucerna“ gehörte. „Das Gartenfest“ und „Die Benachrichtigung“ haben ihn schon in jungen Jahren berühmt gemacht. Jetzt macht er wieder von sich reden. In einem Brief an Gustav Husäk, den die Londoner Monatszeitung „Encounter“ auf nicht wenig«? talsh 15 Seiten ihren Lesern zur Kenntnis brachte. Korruption, LakaimmikT' Hoffnungslosigkeit — das sind nach Havels ungeschminkten Worten die Symptome, an denen die gegenwärtige CSSR krankt.

„Jeder sachliche Dialog mit dem Leben draußen entzieht sich ihrer (der Obrigkeit) Fähigkeit. Sie gerät also in Panik. Das Leben stiftet in ihren Staatszimmern Verwirrung, in der Form von persönlichem Zank und von Intrigen... Ihre Vertreter tragen die Totenmaske der Unpersönlich-keit, um sich mit dem Monolith der Macht zu identifizieren... Das ist der berüchtigte Augenblick für Palastrevolutionen und Putsche, für plötzliche, nach außen hin rätselhafte Ministerwechsel...“

Havel ist ein sehr nüchterner Mann. 1968 bekannte er, von Antonin Liehm in dessen Sammlung von Schriftstellerporträts befragt, die unter dem Titel „Gespräch an der Moldau“ weithin bekannt wurden: „Der Erneuerungsprozeß, dessen Zeugen und Teilnehmer wir jetzt sind, kann, wie alle ähnlichen, mißlungenen Erneuerungsprozesse enden — und er muß es auch wieder nicht.“ Seine Stücke freilich verraten wenig Hoffnung darauf, daß es gutgehen könne. Gerade darum wurden sie während des Prager Frühlings besonders beklatscht. Das Publikum identifizierte sich mit der Angst des Autors, daß Gewalt und Macht stärker bleiben könnten als Selbstbefreiung und neuer Anfang. Daß Havel nach Hu-säks Staatsstreich nicht mehr in der CSSR gespielt und daß er selbst Schikanen ausgesetzt wurde, versteht sich von selbst. Trotzdem blieb er im Lande.

Was besagt sein Protest? Seine Stücke schrieb er kurz vor dem Aufbruch der CSSR zu ihren alten europäischen, vom Stalinismus verschütteten Werten. Sein Brief wird wohl in einem ähnlichen Augenblick geschrieben worden sein: Die Unzufriedenheit ist nicht mehr zu überbieten, die Eisschollen knirschen und ein paar Mutige sind die ersten, die sich auf das Fährboot des offenen Wortes wagen. Havel gehört zu ihnen — ob man ihn auch hören wird?

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