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Das Evangelium für die Armen

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Als Christ und Theologe bin ich überzeugt, daß Theologie nie Geschichte der Theologie werden darf. Es geht doch darum, ob Gott auch heute eine Wirklichkeit ist oder nicht. Deshalb müssen wir einen Theologiebetrieb in Frage stellen, der es primär mit Texten zu tun hat. Gott muß auch in der Wirklichkeit anwesend sein, nicht nur in Texten oder, wie oft gesagt wird, „hinter" den Texten. '

Dasselbe gilt, wenn Theologie als Reflexion über den Glauben bezeichnet wird. Uber welchen Glauben, haben wir zu fragen: Uber den geschriebenen Glauben oder den wirklichen Glauben der Christen? Für mich ist klar: Gäbe es keinen gelebten Glauben, wäre Theologie unmöglich.

Was wir tun, Leonardo Boff in Brasilien, mein Freund Ignacio Ellacuria in San Salvador, all die anderen und ich selber: Wir beschreiben den wirklichen Glauben.

Dafür benützen wir sowohl traditionelle Begriffe der Theologie wie neue Begriffe der Sozialwissenschaften. So wird unsere Theologie eine systematische Beschreibung des wirklichen Glaubens der Christen, der Campesinos von Aguilares, der Frau, die bei uns kocht, des Erzbi-schofs Romero, der Priester, die ermordet wurden.

Der Platz des Evangeliums sind nicht die Universitäten, die Seminare, die Zeitschriften ...

Sie sind wichtige, nötige, aber sekundäre Plätze: der primäre Platz des Evangeliums sind die Armen ... Ich meine damit etwas ganz Reales: Diese Menschen, wirklich Tausende von ihnen, nehmen das Evangelium an: Das ist — wenigstens in El Salvador — absolut neu!

Natürlich vernehmen sie es auch in der Kirche, und sie sehen es auch im Bischof — nicht wie der Papst einmal meinte, daß sie eine Kirche ohne Bischof wollten — aber irgendwie spüren sie, daß das Evangelium ihr eigen geworden ist: „Wir haben das Evangelium". Für mich ist das das Wichtigste.

Für die Zukunft der Kirche bin ich selbstverständlich froh, wenn wir gute Bischöfe und Nuntien haben, aber das ist nicht meine erste Sorge. Um eines sorge ich mich: Daß das Evangelium wirklich unter den Armen lebendig ist.

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