7004983-1987_39_10.jpg
Digital In Arbeit

Das Madchen heibt Hans

Werbung
Werbung
Werbung

Hans ist ein Mädchen und auf den Namen ihrer Großmutter Johanna getauft.

Die Großmutter sagt Hans zu dem Kind. Der Großvater auch.

„Wenn es dir recht ist“, haben sie gesagt. Es war dem Kind recht. Die Großeltern hatten fünf Kinder. Drei Söhne und zwei Töchter. Die jüngste Tochter war mit achtzehn Jahren an der Schwindsucht gestorben.

Das Kind hatte lange über diese Krankheit nachgedacht.

Damals war es sechs Jahre alt.

„Ist sie verschwunden?“

„Ja“, sagte die Großmutter.

„Wohin?“ Die Großmutter schüttelte den Kopf.

Der jüngste Sohn der Großeltern war im Ersten Weltkrieg gefallen.

Er war achtzehn Jahre alt

„Sie haben ihn in den letzten Tagen noch geholt“, sagte der Großvater, „in den allerletzten Tagen.“

„Wer hat ihn geholt?“ fragte das Kind. „Sie...“ „Wer ist das?“

Der Großvater und die Großmutter sahen sich an.

„Warum habt ihr ihn gehen lassen? Warum habt ihr ihn nicht versteckt?“

„Ja, das hätten wir tun sollen“, sagte die Großmutter.

„Haben sie ihn totgemacht?“ fragte das Kind.

„Ja, eine Granate hat ihn zerrissen.“

„Wo?“

„Auf dem Schlachtfeld.“

„Werden da die Menschen geschlachtet?“

Der Großvater und die Großmutter sahen sich an.

„Wozu war das gut, daß die Granate ihn zerrissen hat?“

„Das war für gar nichts gut.“

„Sind viele totgemacht worden?“

„Ja.“

„Das nennt man Krieg, nicht?“ „Ja.“

„Warum machen die Menschen Krieg?“

Der Großvater und die Großmutter sahen sich an.

„Im Krieg sind alle Feinde?“

„Ja.

„Aber wie kommt das? Vor dem Krieg sind sie doch keine Feinde.“

Das Kind dachte nach.

„Würdet ihr ihn heute verstekken?“

„Ja, das würden wir“, sagten der Großvater und die Großmutter wie mit einer Stimme.

„Wißt ihr, wo er begraben liegt?“ „Nein.“

„Schade“, sagte das Kind, „ich hätte ihm Blumen gebracht. Wie sah er aus?“

Die Großmutter holte ein Fotoalbum, in roten Plüsch gebunden, mit einer Silberschnalle verschlossen.

Die Großmutter machte die Schnalle auf und blätterte.

„Das ist er“, sagte sie, „als er siebzehn Jahre alt war.“

Das Kind sah ihn an.

Er hatte dichtes, dunkles Haar, ein weiches Kindergesicht, einen großen Mund und helle Augen.

„Ich mag ihn“, sagte das Kind.

„Du siehst ihm sehr ähnlich“, sagte die Großmutter. „Wie hieß er?“ fragte das Kind. „Hans.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung