6814493-1972_52_17.jpg
Digital In Arbeit

geschichte der großmutter

Werbung
Werbung
Werbung

so kann das nicht weitergehen, beschloß der vater. früher, da ist sie noch harmlos gewesen, doch jetzt... die nachbarn reden schon, man muß sich genieren, sollen wir warten, bis jemand die anzeige macht?

angeblich gießt sie petroleum in den ofen. sie ist ja direkt gefährlich so ganz allein, außerdem riecht es entsetzlich aus ihrer tür. da kann man nichts machen: die großmutter muß in ein heim...

die geschieht« mit ihrem Untermieter, das war der anfang. mein Untermieter, der stiehlt, der burgenländer. den zucker aus der kredenz, die wasch aus dem kästen, ich trau mich nicht aus der wohnung, geh mir einkaufen, steffi. ein vorhängschloß. ja, ein vorhängschloß, sag ich, verstehst du nicht deutsch? für den keller, weil er die kohlen stiehlt, das weißt du noch nicht? der kerl stiehlt auch die kohlen ...

(da war der burgenländer längst ausgezogen, ein zweiter Untermieter war auch schon davon, hals über köpf, er war nur zwei wochen geblieben, ein bissei unheimlich ist mir die alte frau ...

bei nacht aber kam der burgenländer zurück, und lockerte ziegel aus der kellermauer. die großmutter merkte genau, wieviel kohlen fehlten, da mußte der vater sämtliche ritzen vergipsen.)

dann zog sich die großmutter eines tages gut an und machte sich auf den weg in die firma provätschnik. dort war ihr exiuntermieter als dreher beschäftigt, durchaus mit dem direkter wollte sie sprechen, schließlich wurde sie ins büro geführt, der Stellvertreter des herrn direktors empfing sie. sie wolle ihm, sagte sie, nunmehr die äugen öffnen, er sehe, sagte er, ohnehin ziemlich gut...

seit damals ging die großmutter kaum mehr fort, sie rührte sich höchstens zum einkaufen aus den vier wänden, und in die einkaufs-tasche packte sie wasche, und zuckersäcke. und manchmal sogar ein paar kohlen, weißt du, Steffi, ich kenn mich gar nicht mehr aus, alles ist anders, als es früher war. siehst du, das ganze krätzel reißen sie weg. sogar die kastanienbäume schneiden sie um.

einmal geriet sie über den markt hinaus, da-wurde gerade die neue passage gebaut, die großmutter hätte wahrscheinlich nicht heimgefunden, hätte sie nicht eine nachbarin aufgeklaubt, zu meiner zeit sind da noch die fiaker gefahren, wir haben selber ein unternehmen gehabt, haben sie noch meinen armen mann gekannt? nein? aber wenigstens meinen söhn, den hallodri. ja, mein mann ist körperbehindert gewesen, wie er ganz jung war, hat ihn ein roß getreten, seit damals war ich tag und nacht für ihn da. sogar auf den kutschbock habe ich ihn gehoben, und dann hab' ich alles für meinen buben getan, das ganze geld hat der schllawiner gekriegt, wir haben die pferde verkauft und taxis erstanden, aber er hat mirs nur mit schlagen gedankt ...

seit diesem Zwischenfall blieb die großmutter völlig zulhaus. die nötigsten lebensmittel brachte die tochter. die enkelin wollte sie auch zuweilen 'besuchen, die großmutter aber erkannte sie meistens nicht, sag einmal, steffi, wer ist denn das große mensch? ach so, die silvi. ja geht sie denn schon in die schule? silvi war damals so um die zwanzig herum, ich weiß nicht recht, was ich reden soll mit der oma ...

dann kam einmal ein Vertreter vom lesezirkel und klingelte an der türe der alten frau. normalerweise machte sie niemandem auf, diesmal tat sie's, wer weiß warum, sie spähte hinter dem sicherheitskettchen hervor, der Vertreter hielt ihr Zeitschriften hin. die titelbilder erweckten ihr interesse. und sie bestellte ein Jahresabonnement.

am nächsten morgen erschien wie immer die tocbter. pst, sei still, ich hab' heute hohen besuch, sagte die großmutter, alle, alle sind da. und zeigte mit dünnem finger zum küchentisch. auf den sesseln rundum saßen zeitschriftenbilder. ausgeschnitten und an die lehnen gelehnt, die liesel, sagte die großmutter, und die gretel. der philipp, die antschi und hier drüben der Charly... die englische königsfamilie, sagte die tochter. sie bildet sich ein, die wären bei ihr. laß sie doch spinnen, die oma, sagte der vater. sie ist alt und tut niemandem etwas zuleide.

aber die oma fing an, die bilder zu füttern, schnitt mit der nagelscher löcher in ihre münder, führte dem prinzen Charles zum Beispiel kom-pott ein, oder der queen ein besonders gutes püree. unter den sesseln häuften sich Speisereste, auf den

Speiseresten summten die fliegen, das ist nicht mehr auszuhalten, sagte die tochter. ich hab' ja sc'.on angst, zu ihr in die wohnung zu treten, eines tages kamen also zwei männer und setzten die großmutter in ein fremdes auto. du kommst ja bald wieder, sagte die tochter zu ihr, verlangte aber später den Wohnungsschlüssel, weißt du, ich brauch ihn, damit ich dir aufräumen kann, jetzt ist eine gute gelegenheit, gründlich zu machen, wenn du zurückkommst, findest du alles blitzblank, die großmutter nickte aber sagte kein wort, in der anstalt legte man sie ins bett. in einem zimmer mit dreißig anderen frauen. sie sollte essen und möglichst zeitig schlafen, man hatte ohnehin mangel an personal, nach einigen wochen stand sie gar nicht mehr auf. die oma ist dick geworden, erzählte die Tochter, inzwischen räumte man langsam die wohnung aus. und verteilte verschiedenes an die verwandten, im zimmer der großmutter starben einige frauen. einmal blieb eine tote stundenlang liegen, andere wieder mußten ins gitterbett. dort zeterten sie, aber schließlich gaben sie auf.

und dann kam der frühling, draußen tschilpten die vögel. man machte die fenster auf. die herrliche luft, sagte die Schwester, hier stinkt es schon monatelang, wir müssen es einmal ordentlich durchziehen lassen.

die großmutter starb an einer lun-genentzündung. sie ist noch entsetzlich abgemagert, sagt silvi. und setzt sich hin und opfert ein altes reiß-brett. und schneidet ihre erinnerun-gen ins hoüz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung