Kaum ein anderes Jahrhundert hat den nachfolgenden Generationen einen ähnlich großen - und opferreich durchlebten - Schatz an Erfahrungen hinterlassen, der ein unverzichtbarer Wegweiser in die Zukunft ist. Das Wissen um die Zerstörungskraft aggressiver Nationalismen, totalitärer Ideologien und der tiefen sozialen Klüfte allein aber wird nicht genügen, um das Kommende zu bewältigen. Denn gerade aus der Überwindung der geistigen Enge,-der machtpolitischen Trennlinien und der etablierten Ideologien sind ganz neue Herausforderungen entstanden - die Stichworte dazu heißen Globalisierung und Gleichförmigkeit, Trivialisierung und Werteverlust.
Politik für morgen ist also die mühselige Suche nach einem Weg zwischen“ diesen Extremen. Nach einem Weg, der scheinbar Widerspruch] i-ches sinnvoll nebeneinanderstellt und harmonisiert: das Große und das Kleine, das technisch Mögliche und das Menschengerechte, das Eigenständige und das Gemeinsame.
Voraussetzung dafür ist ein sensi bles politisches und soziales Gewiss« - und die Fähigkeit zur ständigen Uberprüfung des Bestehenden und des Werdenden auf Fehlentwicklungen-
■ Das gilt für die Balance zwischen grenzenlosem Wettbewerb und sozialer Verantwortung - vor allem angesichts der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Beich, international und auch bei uns zu Hause.
■ Das gilt für den Umgang mit den technisch-kommerziellen Möglichkeiten unseres Informationszeitalters zwischen ungezügelter Wissensflut und dem Sinn für das Wesentliche.
■ Das gilt für das Gleichgewicht zwischen notwendigen Vernetzungen und der unantastbaren Vielfalt der Kulturen, Beligionen und Lebenswelten.
■ Und das gilt im politischen Alltag für den permanenten Ausgleich zwischen dem Hinhören auf die Würde und Sehnsüchte der Bürger und dem Mut zur Durchsetzung nötwendiger, auch unpopulärer Maßnahmen.
Die Herausforderungen an die Politik von morgen sind komplex und entziehen sich jeder knappen Auflistung. Zu ihrer Bewältigung werden Flexibilität und Erneuerungskraft, Leistungswille und Selbstbewußtsein gefordert sein. Aber auch hier kann Segen zum Fluch werden, wenn wir uns nicht gleichzeitig ein Wertebewußtsein bewahren, das sich den immer wiederkehrenden Verlockungen individueller und kollektiver Egoismen entgegenstellt.
