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Ein literarisches Volksbegehren

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Ich bekam einen Brief.

Sehr geehrter Herr Weigel, ich komme mit einem Anliegen zu Ihnen, die leider vergriffenen und nicht neu aufgelegten Bücher von Marlen Haushofer betreffend.

Während meines Germanistikstudiums in Wien habe ich die Bücher der Haushofer kennengelernt, und sie wären beinahe mein Dissertationsthema geworden. Der Roman, ie Wand” hat mich besonders tief beeindruckt. Freunden habe ich den Roman geborgt, weil ich ihn so gut fand. Alle waren begeistert und fanden es schade, daß man es nicht mehr kaufen kann.

Ich habe nun heuer zwei Texte aus der „Wand” in eine Lesung unter dem Titel .Jfrauen” aufgenommen. Uberall hat der Text großes Interesse erweckt und daher fand ich, man sollte was tun.

Ich möchte Sie bitten, da Sie die „Wand” als ganz „hervorragend” rezensiert haben, wenn möglich etwas für eine Neuauflage des Buches zu tun, wenn Sie auch meinen, daß eine so seltene Dichterin wie Marlen Haushofer nicht in Vergessenheit geraten sollte.

Ich selbst bin Schauspielerin und wende mich an Sie, weil ich weiß, daß Ihr Wort Gewicht hat im Literaturbetrieb. Abgesehen davon, daß die „Wand” für mich von zeitloser Qualität ist, glaube ich einfach, daß das Buch in einer Zeit der Diskussionen über Umweltkatastrophen, Atomkrieg, alternatives Leben, Humanisierung der menschlichen Beziehungen ein Erfolg, auch kommerziell gesehen, sein kann und würde.

Die Reaktionen der vorwiegendjungen Leute in meinen Lesungen bestätigen das.

Aber vielleicht läßt sich da etwas machen!

In diesem Sinn bin ich mit herzlichen Grüßen

Ihre

Judith Estermann die auf eine Reaktion und

Haushofer-Renaissance hofft!

Dem Brief lagen einige Bogen mit Unterschriften bei:

„Für eine Neuauflage der Bücher von Marlen Haushofer”.

Ich antwortete:

Sehr geehrte gnädige Frau,

Ihr Brief ist erfreulich, und er ist nicht die einzige Äußerung dieser Art. Seit Jahren bemühe ich mich, etwas für die Bücher von Marlen Haushofer zu tun. Sie war ursprünglich beim Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh. Als es dort zu kriseln begann (sowas gibt es auch im Bertelsmann-Imperium!) floh sie zum Ciaassen-Verlag.

Dort erschien „Die Wand” und „Himmel der nirgendwo endet”, ein Erzählungsband „Schreckliche Treue” und der grandiose letzte Roman „Die Mansarde”. Doch der Verlag war wie fast alle bundesdeutschen Verlage — ich kann nicht sagen, wie, sonst werde ich wegen Ehrenbeleidigung verurteilt.

Als „Die Wand” im ORF in Fortsetzungen gelesen wurde, mußte eine Sekretärin mit der Beantwortung der vielen Telephonanrufe und Briefe betraut werden; allen mußte mitgeteilt werden: „Das Buch ist nicht erhältlich”. Der Verlag Ciaassen läßt mich seit Jahren etwa zweimal jährlich wissen, daß demnächst „Die Wand” neu aufgelegt werden wird.

Ich habe alle mir erreichbaren österreichischen Verlage immer wieder auf das Oeuvre von Marlen Haushofer aufmerksam gemacht — mindestens drei Romane und ein umfangreicher Erzählungsband müßten unbedingt dauernd da sein — aber niemand hat positiv reagiert.

Das „Weiße Rössel”, „Westside Story” und „Evita” werden subventioniert, für bedeutende Literatur interessiert sich niemand bei den Tänzern und Geigern!

In gemeinsamer Ohnmacht

Ihr

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