Die Wiederentdeckung von Marlene Haushofer

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Manuskripte aus dem Nachlass der Dichterin und eine umfassende, einfühlsame Biographie.

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Manuskripte aus dem Nachlass der Dichterin und eine umfassende, einfühlsame Biographie.

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Marlen Haushofer (1920 - 1970) gilt es immer noch zu entdecken. Als Anfang der achtziger Jahre ihr Roman "Die Wand" wieder aufgelegt wurde, war dies eine Etappe auf diesem Weg. Da man damals auch zu einem neuen weiblichen Selbstbewusstsein unterwegs war, wurde sie als dessen frühe Vorkämpferin gesehen, die durch ihre eindringliche Schilderung des Gefängnisses künftige Ausbruchsversuche förderte. "Eine Frau abgeschnitten von all den Bedingungen, unter denen sie zu leben gewohnt ist, beginnt sich selbst zu vertrauen, lernt ihre ungeahnten Fähigkeiten kennen, wird autonom", so wurde sie damals gesehen.

Die Wiederentdeckung der Österreicherin Marlene Haushofer führte auch zu Legenden von unveröffentlichten Werken, von der Möglichkeit, für verschollen und vernichtet geltende Romane wiederzufinden. Kein Wunder bei einem so schmalen und faszinierenden Lebenswerk von einigen Romanen, Novellen, Erzählungen und fünf Kinderbüchern.

Zwei junge Autorinnen begeben sich nun auf die Suche nach Marlene Haushofers Spuren. Daniela Strigl, Germanistin und seit 1995 Mitkoordinatorin des Festivals "Literatur im März" in Wien, legt eine umfassende und einfühlsame Biographie vor, in der sich in Querverweisen immer wieder die Realitätsfragmente der literarischen Figuren im Leben der Dichterin finden und die Abweichungen geortet werden. In der Dokumentation der Beziehungen zu Hermann Hakel, Hans Weigel und Jeannie Ebner entsteht ein Stück österreichischer Literaturgeschichte der Nachkriegszeit. Die in der Schweiz lebende Herausgeberin der Nachlasstexte "Die Frau hinter der Wand", Liliane Studer, lässt in das Geheimnis des Nachlasses blicken und publiziert einige unveröffentlichte Fragmente: Ein schmales Bändchen mit einer informativen Biographie, Tagebuchnotizen, Briefausschnitten und literarischen Skizzen.

Eine davon ist die kurze Erzählung "Die Wirklichkeit. Eine Weihnachtsgeschichte". Frau Rosner steckt mitten in den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest und ist erschöpft, der Braten ist fertig, die Geschenke sind besorgt und verpackt. Eine alltägliche Situation um diese Jahreszeit. Erst dann erlaubt sich Frau Rosner ihre Krankheit und wird mit 40 Grad Fieber ins Spital eingeliefert. Am Fenster steht ein kleiner Weihnachtsbaum, "schon lange hatte sie keinen Baum so bewusst sehen können". Das Bemühen um die Idylle macht krank. Im Fiebertraum weiß sie, dass sie auch im nächsten Jahr wieder putzen, kochen und backen wird. Nur krank ist sie entspannt und glücklich.

Diese Geschichte zeigt exemplarisch Marlene Haushofers eigene Lebenssituation und ihren Zugang zu ihren weiblichen Figuren. Wie schwierig es ist, einen Schritt aus der Abhängigkeit in die Ungewissheit zu tun. Die Kleinfamilie als Käfig, die Krankheit als einziger Ausweg. Im Roman "Die Tapetentür" (1957) heißt es: "Man konnte einem Kranken nicht helfen, wenn seine Krankheit sein eigentliches Leben war. Sie jedenfalls wollte den Schock der Erkenntnis überwinden und mit ihrer Krankheit weiterleben. Sie wollte nicht geheilt werden zu einer ganz fremden Person, die nichts mehr mit ihr gemein hatte."

Im Gegensatz zur Darstellung der Tristesse des Alltags stehen die Kinderbücher: Flucht in eine scheinbar heile Welt, in der sie den Kindern aber auch literarische Figuren zumutet, die traurig, einsam und verschroben sind. Gerade deswegen, und weil sie "listig an festgefügten Klischees" rüttelte, wurden ihre fünf Kinderbücher zu Klassikern.

Der Schweizer Schriftsteller Otto F. Walter brachte das Besondere dieser Dichterin profiliert auf den Punkt, indem er zugab, durch kein anderes Stück Literatur habe er sich in seinem Verhalten als Mann so in Frage gestellt gesehen wie durch diese Prosa: "Aus ihrer Bedingung, Frau zu sein in patriarchalen Verhältnissen, schafft es Marlene Haushofer ohne kämpferische Rhetorik."

Der schmale Band mit Erzählungen aus dem Nachlass und dem Essay von Liliane Studer macht, um angesichts der weihnachtlichen Festmenüs in die Gourmet-Sprache der zu verfallen, "Appetit" auf dieses Werk. Doch um allen Nuancen nachgehen zu können, muss man zu Strigls Biographie greifen. Marlene Haushofers Leben ist sicherlich keine aufbauende Geschichte, aber eine notwendige und berührende, aus der manche manches ihnen Unbequeme gerne ausklammern. In dem am 26. Februar 1970 geschriebenen literarischen Testament "Mach Dir keine Sorgen" der von Krebs und Chemotherapie bereits schwer Gezeichneten heißt es: "Auch wenn Du mit einer Seele behaftet wärest, sie wünscht sich nichts als tiefen, traumlosen Schlaf. Der ungeliebte Körper wird nicht mehr schmerzen. Blut, Fleisch, Knochen und Haut, alles wird ein Häufchen Asche sein und auch das Gehirn wird endlich aufhören zu denken. Dafür sei Gott bedankt, den es nicht gibt."

Die Zeitschrift "Literatur und Kritik" strich nach ihrem Tod diese Stelle aus dem literarischen Testament heraus. Marlene Haushofer habe, schrieb ein Kritiker, "das hinter den Phrasen und Konventionen lauernde Grässliche sichtbar gemacht". Und dies ist gerade in einer Zeit, in der beides besonders gepflegt wird, wichtig für die Selbstvergewisserung.

Marlen Haushofer. Die Biographie.

Von Daniela Strigl, Claassen Verlag, München 2000, 397 Seiten, geb., öS 321,-/e 23,33 Die Frau hinter der Wand. Aus dem Nachlass der Marlen Haushofer Herausgegeben von Liliane Studer, Claassen Verlag, München 2000, 143 Seiten, geb., öS 248,-/e 18,02

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